Lieber Herr Papst, …

Der Papst kommt in meine Heimatstadt Erfurt. Happiness und Heiligkeit für elf Millionen Euro.

... ein gigantisches Event hast Du da eingerührt. Schlau schlau, das muss ich Dir lassen. Happiness und Heiligkeit für elf Millionen Euro. Willst wohl gar den wilden Osten missionieren? Fühlst Dich schon wie Bonifaz? Die Länder des Südens hat ja Dein Vorgänger abgegrast, da ist nicht mehr viel zu holen. In Thüringen jedoch warten 1,5 Millionen Konfessionslose aufs Massentaufen, dazu noch eine halbe Million Protestanten, potentielle Konvertiten. Ein Bundesland mit 70 Prozent Ungläubigen - da geht noch was. Da ist noch Potenzial. Da klingelt’s im Geldbeutel. Schließlich kommt Euch hierzulande schon seit Jahren die Zielgruppe abhanden. Wenn du Dich da mal nicht verrechnet hast. Die meisten Einheimischen werden wie ich einen großen Bogen um den heiligen Hexenkessel schlagen. Mir ist es nicht geheuer, wenn Schwarmintelligenz das Ruder übernimmt. 74.000 verzückte Gläubige! Gemeinschaft! Urlaub von der Diaspora! Wir sind Papst! Das berauscht, das euphorisiert, das könnte sogar mir die Tränen in die Augen treiben. Gegen den Sog der Masse ist man hilf- und machtlos. Da bleibt man lieber weg. Ohnehin wirst Du mich nicht überzeugen. Mich interessiert nicht, ob Gott existiert, ob als Er oder Sie und was nach meinem Tode passiert. Für mich ist wichtig, woran ich mein Leben ausrichte. Jedenfalls nicht an einem Vaterunser mit Alleinvertretungsanspruch, kontrollierend, frauen- und leibfeindlich, intolerant. Der ein Lebensgefühl vorgibt, das auf Schuldgefühlen basiert und der daraus die Forderung nach Selbstverleugnung ableitet. Auch Deine Amtskirche wirkt auf mich alles andere als anziehend. Verdrängte Sexualität und Macht, eine unheilige Allianz. Missbrauch, Frauenhass, Homophobie. Gottes Werk geschändet. Und wie erklärst Du doch gleich das Verbot von Abtreibung nach einer Vergewaltigung, Verhütung und Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten wie Aids? Oh ja, gute Presse hast Du bitter nötig nach den Skandalen des letzten Jahres, von denen jetzt niemand mehr spricht. Veranstaltest Du deshalb dieses Riesengedöns bei uns? Um die Erinnerung an die Vergewaltigungen und Übergriffe Deiner Priester und Diakone mit Weihrauchschwaden zu vernebeln, mit Euphorie zu übertünchen? Wie kann Gnade so gnadenlos sich zeigen? Wie aus einer wackligen Angelegenheit wie dem Glauben eine Institution wachsen, die so gewaltsam gegen Andersgläubige und Abweichler vorgeht, gegen Juden, Katharer, Moslems, Kulturen in Übersee oder Hexen beiderlei Geschlechts? Und die vor Missbrauch und Gewalt aus den eigenen Reihen die Augen fest zudrückt? Ich weiß, du hast solche Argumente schon oft gehört, genau wie die um den Zölibat und die Frauenpriesterschaft. Dass die Inquisition schon ein paar Jahre her ist, weiß ich auch. Aber hast Du Dich schon mal gefragt, warum das alles immer wieder aufs Tapet gebracht wird? Du bist Dein Amt, Herr Papst. Du repräsentierst 2000 Jahre Kirchengeschichte. Wird Dir davon nicht manchmal warm unter Deinem Prunkgewand? Ich bin kein Kind mehr. Deshalb will ich Deinen Gottvater nicht. Ich finde, bevormundet uns, hält uns klein, unmündig und abhängig. Das lädt ein zum Missbrauch. Wir sind alt genug, erwachsen zu sein, das Patriarchat hat sich längst überlebt, Herr Papst, das Matriarchat übrigens auch, jetzt müssen wir uns aus der Herrschaft der Eltern lösen, der dominatio parentum, und ja, auch Atheisten können Latein. Wir schwirren herum wie aufgescheuchte Fledermäuse und suchen nach dem Sinn. Was, wenn wir ihn uns selbst geben müssen? Es wird Zeit, Verantwortung zu übernehmen für uns und alles, was uns umgibt. Und zuzulassen, dass andere Verantwortung tragen. Nicht, weil uns das jemand vorschreibt, eine Autorität, ein Vater. Sondern weil es gut und vernünftig ist. So einfach ist das. Dieser Brief ist im aktuellen Papstdossier der Zeitschrift Publik-Forum zu finden. Ich verdrücke mich, ganz weit weg: zur Preisverleihung nach Grenz/Randowtal. Auwiehö!

veröffentlicht: Anke Engelmann, Donnerstag, 22.09.2011

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