Von »Ende« bis Buchladen IV: Der Titel

Verlagsvertrag? Ich hatte Glück. Der Verlag Voland & Quist hat meinen Hannes ins Programm genommen. Doch wie kommt man dahin? Was braucht man dafür? Dazu in Teil vier (fast) alles über den Titel und seine Findung.

Ein ganzer Satz? Ein einziges Wort? Eine Wortgruppe, die ein ungewöhnliches Wort enthält, das einen irritiert wie ein Himbeerkern zwischen den Zähnen? Mit Verb, mit-ohne Adjektiv? Bezogen auf den Helden, bezogen auf die Handlung, ein Hinweis auf das Genre, eine Anspielung auf einen berühmten Titel, eine witzig abgewandelte Redewendung oder gleich ein Verwirrspiel, bei dem die Leser nichts wissen, nur: Dieses Buch muss ich unbedingt kaufen!

Einer meiner aktuellen Lieblingstitel lautet: »Wo der spitzeste Zahn der Karawanken hinauf in den Himmel fletscht« (Autorin: Julia Jost). Als Lektorin hätte ich diesen Titel wahrscheinlich verworfen. Die Karawanken kannte ich nicht. Wie kann ein einzelner Zahn fletschen, auch wenn er noch so spitz ist? Und ist das kleine Wörtchen »hinauf« nicht völlig überflüssig?

Und doch. Der Titel setzt sich fest. Gerade weil er sperrig ist. Er leuchtet so bunt wie der Roman. Ich habe ihn wiedergekäut noch und nöcher. Das Wort »Karawanken« machte mich neugierig. Es klang exotisch. Jedesmal wenn ich dachte: »Jetzt hab ich dich!«, hat er sich mir wieder entzogen. Ich musste um ihn kämpfen. Aber ich wollte das auch.

Mein Roman trug den Arbeitstitel »Hannes im Glück«. Ich wollte einen Märchenbezug. Das Märchen hat sogar den Namen meines Helden gesetzt: Hannes. Wie Hans. Dafür habe ich in Kauf genommen, dass ich bei jedem Genitiv einen Apostroph einfügen musste. Den Namen meines nächsten Helden (Heldin) werde ich nicht noch einmal auf ein »s« enden lassen, Bezüge hin oder her. 

Der Verlag testet die Titel, indem er sie Testlesern vorlegt. Meiner gefiel zunächst, wurde später jedoch verworfen. Niemand sagte »altbacken«, aber irgendwie stand der Begriff im Raum, als wir uns per Zoom zum Brainstorming trafen. Ich begriff: Das Cover muss mitgedacht werden. Mit was für einem Cover sehe ich mein Buch? Ein wirkliches Bild hatte ich bis dahin nicht vor Augen – nur einige Ideen, darunter das »Gothaer Liebespaar«.

Ich hänge nicht an meinem Titel und der Vorstellung, die dahintersteckt. Wichtig ist: Das Buch soll sich verkaufen. Ich vertraue dem Verlag, mir gefallen viele Titel bei V&Q und sie scheinen Leser und Presse anzusprechen. Leider ging unser Brainstorming lediglich mit ein paar Ideen auseinander und der Verabredung, dass wir weitere Gedanken in die Runde geben. Der große Knaller á la »Karawanken« war nicht dabei. Mein zweiter Favorit: »Der Phantograf«, der auch dem Verleger gefiel, wurde als »zu technisch« verworfen.

Wir gingen auf Titelsuche, mein Partner und ich. Das beschäftigte uns mehr, als unserem Broterwerb guttat. Wir redeten in Romantiteln, ich träumte in Romantiteln, ich hörte überall Romantitel. Wenn man darauf achtet, besteht die ganze Welt aus Romantiteln. Nur die Bücher dazu müssen noch geschrieben werden. Einen Romantitel für ein schon existierendes Buch zu finden, stellte sich als nahezu unlösbare Aufgabe heraus. Wenn einer vorbeiflatterte, der uns auf Anhieb ansprach, gab es dazu schon ein Buch, einen Film oder eine Quiz-Show.

Jeden Vorschlag, der die Wörter »Liebe« oder »Glück« enthielt, verwarf ich sofort (»klingt nach Liebesroman«). Jeden Vorschlag, der aus einem Satz bestand, verwarf mein Partner sofort. In der Fülle der Fast-Guten neigte ich schließlich dazu, alles abzulehnen. Ich überschüttete die Brainstorming-Runde mit einer Liste potenzieller Titel, die mir eine Woche später nicht mehr gefielen (sorry!). Ich fragte die KI. Ich blätterte nach Zitaten. Ich suchte Redewendungen und Sprichwörter. Ich stöberte im Roman nach guten Halbsätzen.

Mein Freund ging die Sache von der anderen Seite an: Er servierte einen wunderbaren Titel nach dem anderen, bremste meine Begeisterung mit der Bemerkung: »Das ist ein Roman von …« und fügte hinzu: »Irgendwie so könnte man das machen.« Eine Freundin schenkte mir ein Buch über einen Kunstfälscher: »Paradies der falschen Vögel« von Wolfgang Hildesheimer. »Paradies«! »Falsche Vögel«! Genial! Zum Glück ist uns das nicht eingefallen, was hätten wir uns geärgert. Wir spielten damit, doch »Der falsche Vogel fängt den Wurm«, »Das falsche Paradies« blieben nur ein blasser Abklatsch. Überhaupt bin ich sehr froh, dass ich dieses Werk erst jetzt gelesen habe, weil es so nah an meinem ist.

Mein derzeitiger Favorit: »Mein ungelungenes Leben« hat mit einem Zitat von Ernst Bloch zu tun, der im Roman eine Rolle spielt. Das Wort »ungelungen« entgleitet mir ständig. Ich kann es nur über die Eselsbrücke »ungelogen« festhalten. Ob das gefällt? Oder ist das zu sehr um die Ecke gedacht? Warum nicht gleich: »Mein ungelogenes Leben«? Was meint ihr?

Literaturempfehlungen
Peter Hille: Titel, Pitch und Exposé für Romane. Textmanufaktur Verlag, Fischerhude, 2016

Julia Jost: Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht. Suhrkamp Verlag, 2024

Wolfgang Hildesheimer: Paradies der falschen Vögel. Edition Büchergilde GmbH, 2017

veröffentlicht: 04.06.2025 / Anke Engelmann

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