Hannes im Glück
Hannes Bohn hat es mit seinem Talent und seiner überragenden Intelligenz schwer in der piefigen DDR. Dabei will er nur eins: ein schönes Leben als Künstler. Doch Lutz, sein Erzfeind aus Jugendtagen, legt ihm ständig Steine in den Weg. Hannes’ Traum scheint sich zu erfüllen, als ihn die Staatssicherheit zum Kunstfälscher ausbildet. Als Hannes heimlich ein berühmtes Renaissance-Gemälde fälscht, um das Original vor dem Verkauf zu retten, sieht Lutz, der bei der Stasi Karriere gemacht hat, seine Chance, Hannes endgültig zu vernichten
1958 (Textauszug)
Als ich am 9. Juni 1958 als Johannes Berger in Weimar zur Welt kam, hing der Krieg noch in der Luft. Meine Mutter pilgerte auf dem Krankenhausflur auf und ab, in den Pausen, wenn die Wehen es zuließen. Mein Vater hockte auf einem der Stühle und gierte nach einer Zigarette. Ich sollte ihr erstes Kind werden. Er hoffte auf ein Mädchen.
Dann heulten Sirenen auf. Ein Blindgänger war auf einer benachbarten Baustelle gefunden worden und hatte eine Bombenwarnung ausgelöst. Alle stürzten durcheinander. Ein Arzt hielt sich die Ohren zu und kreischte lauter als die Sirenen, er schrie und konnte sich nicht beruhigen, bis ihm eine Schwester eine Spritze in den Hintern rammte, die eigentlich für meine Mutter gedacht war.
Die krümmte sich in einer Ecke auf dem Boden, denn mich in ihrem Bauch stachen die Sirenen. Sie stachen und stichelten und ich drehte mich, ich wand mich, ich spürte, wie sich mein behagliches Nest zusammenzog und meine Mutter sich daran machte, mich aus ihrem Leib auszuwerfen. In dem Trubel da draußen würde sich vielleicht niemand um uns kümmern, also schlang ich mir die Nabelschnur um den Hals und stürzte mich hinab.
Sie schob mich nach Hause in einem Kinderwagen, der auf den Fotos aussieht wie gute alte Vorkriegsware. Ich fügte mich ins Leben und tat, was man von mir erwartete: Ich plärrte ein bisschen, ich nuckelte und trank, was man mir gab, ich schlief und wenn sich jemand über mich beugte, tat ich alles, um das Gurren hervorzurufen, in das Erwachsene unweigerlich beim Umgang mit Säuglingen verfallen.
Nein. Stimmt nicht. Ich war nicht fügsam. Ich hätte mich gern fügsam gezeigt, aber von Anfang an galt ich als schwieriges Kind. Ihre Brüste gaben nur wenig Milch und in meiner Not biss ich in die Brustwarzen, mit meinem zahnlosen Greisengaumen mümmelte und kaute ich, bis mir ihr Blut in den Mund schoss. Dann erst schmatzte ich selig. Vielleicht habe ich mein ganzes Leben lang diesen Geschmack gesucht, diesen Cocktail rot-weiß aus Milch und Blut. Sie konnte ja nichts dafür, und ich auch nicht, der Hunger trieb mich, wie Säuglinge eben sind, oben was rein, unten was raus, dazwischen verdauen und schlafen, mehr brauchen die nicht. Und manchmal ein Gurren.
Lebensmittel wurden noch mit Marken rationiert. Meiner Mutter stand eine Extraration Milch zu, damit sie nicht vom Fleische fiel. Die brauchte sie auch dringend, denn ich saugte ihr das Blut aus dem Leib. Du warst immer ein kleiner Vampir, sagte sie gern. Und dann lächelte sie, ein nachsichtiges Mutterlächeln.
Den Zipfel zwischen meinen Beinen konnte auch mein Vater nicht übersehen. Als er mich das erste Mal angeekelt abputzte, mich puderte und ungeschickt in kratzige Moltonwindeln packte, beobachtete ich ihn genau. Dieser Mann konnte nicht mein Vater sein. Ich sah mich in seinen Augen und ich wusste, dass er sich in meinen sah. Der Mann kann sich selbst nicht leiden, dachte ich. Nie würden wir Freunde werden. Dann traf ihn mein Strahl im Gesicht.
(unveröffentlichter Manuskriptauszug)
2021 hat die Kulturstiftung des Freistaates Thüringen das Projekt mit einem Stipendium unterstützt.
Bildquelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Liebespaar_(Gemälde)#/media/Datei:Gothaer_Liebespaar.jpg