Poesieblog

  • Zur Absage der Leipziger Buchmesse

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Donnerstag, 10.02.2022 in Corona, Lesen, Schreiben

    Meine erste spontane Reaktion: Wenn die großen Verlage die Messe boykottieren, ist es an der Zeit, die Verlage zu boykottieren! Aber dann habe ich noch einmal recherchiert: Es lag nicht an den Verlagen. Jedenfalls nicht nur.

    "Es geht nicht darum, ob ein einzelner Konzernverlag hier sagt, er macht nicht mit. Das wäre sehr bedauerlich gewesen, ohne diese Verlagsgruppe die Messe zu organisieren – aber das war kein Grund", sagt Buchmesse-Chef Oliver Zille im mdr-Interview. Viele Verlage hätten signalisiert, dass die Vorbereitungszeit zu kurz gewesen sei. "'Vorbereitungszeit zu kurz' heißt immer, mit wie vielen Leuten sie das vorbereiten." Viele Verlage hätten "Personalausfälle in Größenordnungen". "Die Leute sind krank beziehungsweise sie sind in Quarantäne und sie haben Angst, sich in Leipzig bei einem Großereignis anzustecken", sagte Zille. Also doch Corona.

  • Coronamüde

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Mittwoch, 02.02.2022 in Corona, Schreiben

    Corona und diese vielen Digitalformate bringen eine große Vereinzelung. Und ich zum Beispiel bin müde, so als soloselbständige Einzelkämpferin.

    Der Corona-Alltag hat mich ausgebrannt. Ich hatte zum Glück Stipendien, und man ist ja auch sehr dankbar. Aber als Finanzierung sind Stipendien anstrengend, wenn sonst alles weggebrochen ist. Man verzettelt sich, erfindet ständig neue Projekte, und der Roman, der sich nicht in einem Förderzeitraum schreibt, bleibt liegen. Stattdessen haut man sich noch ein Projekt rein und noch eins und steckt jedesmal viel Arbeit in die Antragsprosa.

    Die Geber gehen zudem davon aus: Man macht eine Sache fertig. Freut sich. Überlegt sich was Neues. Stellt einen Antrag. Wartet. Wird abgelehnt. Schreibt noch einen Antrag ... Und wovon lebe ich dazwischen, wenn ich sonst nix habe? Beantragen, wenn ich noch in einer Förderung stecke, geht nicht, für dasselbe Projekt nochmal gefördert werden, geht nicht. Man hangelt sich so über die Abgründe. Besser als die Gießkanne wäre es zudem, unsere Brotberufe besser zu bezahlen. Gerade die Leute, die mit Menschen arbeiten, werden exorbitant schlecht bezahlt.

    Dazu kommen die Widrigkeiten des digitalen Alltags. Die Uni, die Volkshochschule, Webex, Zoom, edudip, jeder benutzt eine andere Plattform. Alle unterscheiden sich in kleinen, aber wichtigen Funktionen, das lernt man by doing im Kurs und mit der Unterstützung erfahrener Teilnehmer. Ich hatte nach jedem online-Kurs das unbefriedigende Gefühl, dass ich manche Leute nicht erreicht habe, obwohl viele TN sehr dankbar auf meine Angebote reagiert haben. Und nach einem Kurstag ist man völlig geschlaucht. Auch meine interaktive Corona-Schreibseite ist irgendwann wieder eingeschlafen. Kein Wunder, so viele Digitalformate, wer hat darauf schon Bock? Wenn man eh den ganzen Tag in der Zoom-Konferenz hängt?

  • Freewriting vorm Workshop

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Samstag, 24.04.2021 in Schreiben

    Digitale Kurse haben auch gute Seiten. Zum Beispiel können Menschen teilnehmen, die nicht vor Ort sein können. Aber ihre Vorbereitung dauert länger. Man muss gut strukturieren, die Online-Hilfsmittel für die TeilnehmerInnen bereitlegen und alle sichten. Deshalb sitze ich am Workshop-Tag Stunden vorher auch schon am Rechner.

    Ach, ich mag nicht. Das Abgleichen und Links probieren. Irgendwie würde ich jetzt gern noch ein bisschen über Hannes nachdenken. Oder einfach so schreiben ...


    Schreiben. Wie tröstlich. Das Klappern der Tastatur umhüllt mich wie die Geräusche auf einem Schiff. Ich verlasse die Realität. Fahre in den Tunnel ein, meine Aufmerksamkeit fokussiert sich, der Blick wandert zwischen Tastatur und den Zeilen auf dem Bildschirm. Nur verschwommen nehme ich meinen Schreibtisch wahr, das Papier darauf, die Becher mit den Stiften, das Metall-Lineal direkt vor mir.

    Dabei wird es nachher bestimmt schön. Aber dieses Abgleichen. Das ist wie ... Buchhaltung. Ja. Digitale Kurse haben viel BuchhalTERisches. Mit Insider-Betonung auf der vorletzten Silbe: BuchhalTERisch.
    Ich fang dann jetzt mal an. Hülft ja nüscht. Muss ja.

  • Lass es raus? Über Trauma schreiben

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Sonntag, 14.10.2018 in Poesietherapie, Schreiben

    In der Poesietherapie geht es darum, anderen das Schreiben als Ressource zu erschließen, mit deren Hilfe sie sich gefahrlos mit schweren Verletzungen auseinandersetzen können. Doch wie schreibt man über Trauma(ta), und zwar gefahrlos für sich und andere?

    Das Unsagbare auszudrücken, und zwar so, dass andere es auch annehmen können, reizt mich. Hinter diesen beiden Halbsätzen steckt eine Transferleistung, ein Prozess: "Unsagbares ausdrücken. Andere sollen es lesen können." Es geht um mehr als darum, Betroffenheit zu artikulieren und "alles rauszulassen".

    "Alles rauslassen", ist das nicht Poesietherapie? Im Prinzip ja, aber – nicht einfach so, ungefiltert. Wenn ich nur für mich schreibe, soll mir das gut tun, keinesfalls sollte ich mich in Gedankenschleifen festfahren und steckenbleiben. Wenn mein Text andere ansprechen soll, muss ich mir einen gewissen Status von Bewältigung erarbeitet haben, der meine LeserInnen mitnimmt und ihnen per Identifizierung eine Katharsis ermöglicht. Bedeutet bei mir, viel zu überarbeiten.

    Ob nur für sich oder mit der Absicht einer literarischen Bewältigung: Wer über Traumata schreibt, muss aufpassen, von seinen Gefühlen nicht überwältigt zu werden. Dann rutscht man in die traumatisierende Situation, der Körper reagiert auf die scheinbar akute Gefahr z.b. mit Dissoziation, Schreibblockade – aus. Das heißt fürs Schreiben: Gefühle (und Kopf) weglassen. Keine Analysen. Schildern, was zu beobachten ist, wie die Leute reagieren, wie sie ihre Körperempfindungen ausagieren. Nicht interpretieren. Nicht behaupten: Jemand hat Angst. Beschreiben: Was macht derjenige gerade? Woran erkennt man, dass er/sie Angst hat, wütend ist, überwältigt wird, sich hilflos fühlt?

    Das grundlegende Handwerkszeug guten Schreibens also, den Empfehlungen in vielen Schreibratgebern entsprechend, mit Adjektiven und Zuschreibungen sparsam umzugehen. Gut ist auch, einen Gegenpol in der Geschichte zu haben, vielleicht eine Liebe oder eine Freundschaft. Seitdem ich es so mache, fühlt es sich für mich gut an und die Texte sind nicht nur lesbar, sondern haben manchmal eine große Wucht. »Schreibend kommt man über die Dinge«, meinte Christa Wolf, und ich sehe das auch so. Eine Verletzung ist der ideale Urgrund einer aventiure, danke Ulrike. Aber man muss aufpassen, sich damit beschäftigt haben und den Unterschied zwischen Gefühlen (Kopf) und Empfindungen (Körper) spüren und machen. Texte, die traumatisieren oder Traumata antriggern, will niemand lesen. Die Leute wollen Stellvertreter-Geschichten, die ihnen helfen, über ihre eigenen Dinge zu kommen. Zu Recht.

    Tipps fürs Schreiben:

    • Namen ändern! Mit der Erzählstimme spielen: Ich-ErzählerIn? 3. Person?
    • Handlung! Zeigen, nicht behaupten!
    • Gute Vorarbeit! Steckbrief von Personen ausarbeiten, nicht vergessen, ihr Äußeres zu schildern (man neigt dazu, weil man die Beteiligten ja kennt), Handlung/chronologischen Ablauf vorab skizzieren
    • Körperempfindungen schildern, wie ein Außenstehender sie beobachten würde. (auch wichtig, um sich selbst zu schützen)
    • mit Distanz spielen (Perspektive: rin in den Kopp der Protagonisten – und wieder raus und von außen gucken.)
    • Humor! (nicht Sarkasmus oder Ironie)

    Handwerk nicht vergessen, erzählerische Basics im Blick behalten:

    • Struktur: Entwicklungen und zeitliche Verläufe deutlich machen, Rückblenden einsetzen, nicht zu viel analysieren.
    • Auf Erzähltempus achten, sprachliche Mittel bewusst einsetzen, um Geschwindigkeiten zu regulieren.
    • Dramaturgie beachten, Plot Points, Verknüpfungen schaffen
    • auf blinde Flecken achten (Testleser!) (manches sieht man nicht oder es ist so selbstverständlich, dass es für einen selbst immer mitschwingt.)
    • Vorsicht bei Bildern und Metaphern. Sie können helfen, Distanz zu finden, aber können auch schnell zu viel werden. Besser: ein durchgehendes Motiv finden, das es erlaubt, Unsagbares (z.B. Dissoziation) deutlich zu machen

    Und natürlich: auf sich aufpassen! Pausen machen, sich beim Schreiben erden, sich Rituale suchen. Manchmal zünde ich vorm Schreiben eine Kerze an. Wenn ich mein Pensum bewältigt habe, stelle ich mir vor, einen Topf zuzumachen, dann puste ich die Kerze aus und mache eine Computer-Pause. Technisches:

    • kritisch bleiben, den Text nicht zu früh aus der Hand geben, viel überarbeiten
    • Testleser! am besten Profis, die was vom Handwerk verstehen, achtsam kritisieren und auf der Sachebene bleiben. Bemerkungen wie "Du musst aber schon schlimme Sachen erlebt haben" sind kontraproduktiv.
    • übers Schreiben reflektieren, z.B. Schreibtagebuch führen.

    Ich benutze ein Heft und habe zudem im Computer neben dem fortlaufenden Text einen Ordner mit »Überlegungen« (aus dem heraus ich Sachen auch in andere Ebenen heben kann, z.B. diesen Text hier). Ich setze Techniken ein, die nicht stoff- oder/und stark formgebunden sind (Freewriting, Cluster). Wenn ich gut, nee, wenn ich mies drauf bin, aber nicht so mies, dass mir nichts mehr einfällt, spiele ich mit Formen: Leipogramm, Anagramm, Konstellationsgedicht nach Eugen Gomringer … Aber das gehört jetzt schon wieder in die Kategorie Betriebsgeheimnis.

  • Betroffenheitsprosa?

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Samstag, 13.10.2018 in Poesietherapie, Schreiben

    Ich mag keine Betroffenheitsprosa. Dabei müsste ich als Poesietherapeutin eigentlich »Hurra!« schreien, wenn sich jemand schreibend mit Verletzungen und Traumata auseinandersetzt. Betroffenheitsprosa, was für ein unangenehm abwertender Begriff.

    Habe mich gerade entschlossen, über ein biografisches Thema zu schreiben, und ich will auf keinen Fall "Betroffenheitsprosa" fabrizieren. Betroffenheitsprosa? Was für ein unangenehm abwertender Begriff! Vermutlich stammt er aus "Dummdeutsch" von Eckhard Henscheid, einem satirisch gemeinten Wörterbuch im Nachklang der 68er, aus dem sich auch der "Gutmensch" in unseren Wortschatz aufgemacht hat.

    Aber ich finde kein besseres Wort, Kitsch trifft es nicht. Betroffenheitsprosa (oder -lyrik), da weiß jeder was gemeint ist und sowas kann kitschig sein, aber nicht jeder Kitsch erzählt von Verletzungen. Mir fallen jede Menge Bücher ein, die mich sehr berührt haben und bei denen ich zu spüren meine, dass sich der Autor/die Autorin mit Gewalterlebnissen auseinandersetzt. Meist Entwicklungsromane, Quest, Aventiure (Der "Parcival"?). Zum Beispiel vieles von Angelika Klüssendorf. Oder Kerstin Mlynkec: Drachentochter. Und natürlich der Klassiker: Anton Reiser von Karl Philipp Moritz.

    Erzählungen brauchen einen Konflikt, etwas, was den Helden, die Heldin treibt und oft ist das eine Wunde, ein Trauma. Ich lese gern Geschichten, in denen sich Leute aus ihrem Dreck rausarbeiten. Aber manchmal wird es mir als Leserin zu viel und ich denke: Wie peinlich! Oder unfreiwillig komisch, ja auch das. Und das würde ich "Betroffenheitsprosa" nennen.

    Betroffenheitsprosa ist für mich: Der Autor/die Autorin schreibt über ein persönliches Thema und man merkt das dem Text an.

    → als Leserin fühle ich mich unangenehm berührt, der Text ist mir peinlich oder stößt mich ab, als hätte sich jemand vor mir entblößt, etwas sehr Intimes gezeigt

    → als Leserin bemerke ich eine innere Haltung des/der Autor/in: Sieh her! Sieh mich an, sieh mein Leid, meinen Mut, meine Tapferkeit!

    Dazu gehört für mich auch die Kategorie der in seifigem Du-Ton geschriebenen Selbsthilfe- oder Ratgeber-Bücher. Bei denen höre ich den Ruf: »Sieh mich an! Das kannst du auch! Du musst nur ... (alles genau so machen wie ich)!« Der Abstand der/des Autor/in zum Geschriebenen stimmt nicht, ist entweder

    • zu nah, dann wird er/sie spürbar von Gefühlen überschwemmt und der Text wirkt kitschig (Beispiel? Vieles, was in Selbst- oder Zuschussverlagen erscheint.)
    • oder zu weit weg, dann wirds Pathos (Beispiel: "Als ich mich selbst zu lieben begann", ein Text, der fälschlicherweise Charlie Chaplin zugeschrieben wird, aber von Kim McMillen ist. Einen Artikel über die Neuzuschreibung der Urheberschaft habe ich hier gefunden)

    (Frage: »zu nah/zu weit weg« in welchem Bezugssystem?)

    Welche Merkmale hat so ein Text?

    • kopflastig, viel Analysen und Erklärungen, wenig Handlung
    • Gefühle werden behauptet, Empfindungen nicht gezeigt,
    • Personen bleiben blass, werden oft nicht beschrieben
    • Verallgemeinerungen
    • Verwendung von Signalwörtern, die emotional aufgeladen sind
    • die innere Distanz zum Stoff stimmt nicht:
      • Erzähler/in steckt im Stoff fest: Die »Genau so war es!«-Haltung: Das Erlebte wird nicht als Material behandelt, nicht gewalkt und geknetet, nicht damit gespielt, sondern 1:1 geschildert. Wenn der Stoff oder die Personen eine eigene Richtung nehmen, wird der nicht nachgegangen
      • bei Schilderungen wiederum ist eine Distanz zu spüren: »Ich spürte, wie ...«, »Ich sah, wie ...« statt in den »Stream of Consciousness« einzutauchen.
    • auktorialer Erzähler schimmert durch.
  • Schreibbericht Textwurm

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Mittwoch, 12.09.2018 in Poesie-Debatte, Schreiben

    Noch windet er sich, der Textwurm, schillert und glänzt, manchmal hebt sich der Kopf mit den gelben Augen, manchmal die Schwanzspitze.

    Ich überblicke nicht das Ganze, nur ein wogendes, beängstigendes und unsagbar schönes Geschlinge, armdick und muskulös. Irgendwann wird der Kopf hochschnellen und ich fürchte mich davor und vor dem Blick der klugen Echsenaugen.

    (ähm)

  • Anfängerfehler?

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Samstag, 19.05.2018 in Lesen, Schreiben

    Bei Bodo Kirchhoff habe ich gelesen, seitenlange Dialoge, erzählerische Faulheit sei das, ein typischer Fehler von AnfängerInnen. Uff. Schreck! Hab ich mich wieder geoutet! Ich benutze oft Dialoge. Seitenlang. Bei mir bestehen ganze Kapitel aus Dialogen. Dialoge sind mein Markenzeichen.

    Und ist nicht ein innerer Monolog im Grunde auch ein Dialog? Mit einem schweigenden Gesprächspartner? Hab ich also bei meinem aktuellen Projekt, das ich eigentlich schon fertig wähnte, Kapitel für Kapitel unter die Lupe genommen und, wo es nur ging, die Dialoge ausgeschmückt und eingebettet. Einigen hat das gutgetan. Andere hab ich nicht angerührt. Denn (Erkenntnis): Ich mag es nicht, wenn alles auserzählt ist, die LeserInnen sollen ihre Phantasie spazieren schicken. Und siehe da, dann bekomme ich ein Buch von Philip Roth in die Hand. Nur Dialoge! Nicht nur seitenweise, nein, das ganze Buch. Ist Philip Roth vielleicht ein schlechter Erzähler? Genau! Ätsch!

    Bodo Kirchhoff: Widerfahrnis

    Philip Roth: Täuschung

  • Stirbt die Schreibschrift? Wirklich?

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Freitag, 01.12.2017 in Schreiben

    Schreibschrift als Lernschrift abschaffen oder nicht? Diese Frage habe ich in meinem letzten Uni-Seminar den Studierenden gestellt und sie nach ihren Erfahrungen mit der Schreibschrift gefragt. Die Antworten waren niederschmetternd.

    Abschaffen, war die überwiegende Meinung. Allenfalls als Kalligrafie im Kunstunterricht sollte man sie unterrichten. Die Kinder müssten so viel lernen heutzutage. Beim Schreibunterricht könne man sie entlasten, hieß es. Hm.

    Ich persönlich finde, dass gerade das Schreiben entlastet, wenn es nicht als Werkzeug, sondern als Instrument verstanden und benutzt werden darf. Das gebe ich auch weiter in meinen Seminaren und zeige, wie das funktionieren kann. Jedenfalls war das wie Zahnschmerzen, ich habe mich gewunden und gedreht. Keine Schreibschrift mehr! Oijoijoijoi! Gewalt geschrien! Weltuntergang! Wer wird meine Briefe und Tagebücher (nein, die nicht), lesen und auswerten, wenn ich einst tot und berühmt bin? Ist der Tod der Schreibschrift aufzuhalten? Und bin ich jetzt - Äks! - eine Kulturpessimistin?

    Die Rolle der Trägermedien

    Zum Glück meißeln wir unsere Worte nicht mehr in Stein, jedenfalls nicht oft. Und wer würde noch mit Tinte aus Ruß und Eiweiß auf Tierhäute schreiben und die Illustrationen mit dem Sekret zerquetschter Purpurschnecken, zermahlenen Lapislazuli oder Schwefel colorieren? Die Geschichte des Schreibens ist mit den Trägermedien, dem Werkzeug und dem Material verbunden. Schnelligkeit setzt sich durch, Verfügbarkeit von Werkstoffen, gesellschaftliche Strömungen, die die neuen Medien benutzen wie bei der Reformation geschehen.

    Und ich bin skeptisch. Okay, Schnelligkeit, Weiterverarbeiten auf verschiedenen Kanälen, Verbreitung, okayokayokay. Aber: Die Werkstoffe, aus denen die neuen Medien bestehen, sind nicht unbegrenzt frei verfügbar. Die Dinger sind nicht haltbar; ein gut gemachtes Buch hält länger. Wer weiß, ob man die Daten der Trägermedien in zehn, ach, in fünf Jahren noch auslesen kann. Vermutlich nicht. (Ich sage nur: Disketten! Ja! Genau!)

    Gänsefeder, Metallfeder mit Tintenfass zum Eintunken, mit Tank oder mit Mine, Schreibmaschine, Computer, Spracheingabe: Bei jeder neuen Technologie hat sich das Schreiben als Kulturtechnik und sein Stellenwert in der Gesellschaft verändert. Wird wieder mehr mit der Hand geschrieben, und zwar Schreibschrift, seit man Smartphones und tablets wie Notizblöcke verwenden und per App das Handgeschriebene in Druckschrift übertragen kann?

    Ist die Schule schuld?

    Wir haben Siri, Microsoft Dictat und Dragon, die Gesprochenes in Schrift umwandeln. Aber wir haben auch Instrumente, um der Schreibfaulheit entgegenzusteuern. Den Schreibunterricht zum Beispiel. Das Schreiben zu erlernen, ist so aufwendig wie Autofahren. Das braucht viel Übung, nein, es gibt keine Abkürzung. Bei uns, sprich Schule im Osten, war zuerst die Schreibschrift dran und dann die Druckschrift. Wir mussten seitenweise Bögen malen, die alle gleich aussehen sollten, Zacken, Kringel, die Buchstabenverbindungen.

    Ich fand das nicht schlimm, habe das als Oase im Lernstress empfunden. Als würde ich Mandalas malen. Seit einigen Jahren (oder im Westen? Seit 68?) hat das Üben einen schlechten Ruf. Man setzt im Schreibunterricht die Priorität anders, lehrt erst Druckbuchstaben, dann Schreibschrift. Seit wann das so ist, konnte ich nicht rausbekommen, ich glaube jedoch, hier liegt die Ursache für das Siechtum der Verbundschrift. Zwei Schriftarten zu lernen, überfordert die Lese- und Schreibneugier der Kinder. Eine Frage der Ökonomie: Warum sollten sie eine zweite Schrift lernen? Die erste reicht doch völlig!

    Sind wir nicht alle ein bisschen Druckschrift?

    Was ich öfter in meinen Kursen beobachte, nach meinem Eindruck überwiegend bei Leuten, die in der alten BR schreiben gelernt haben: Die Leute tippen mit Computer/ tablet, weil sie – eigene Aussagen – ihre (Hand-)Schrift nicht lesen könnten. Zudem schreiben einige auch mit der Hand eine Art Druckschrift, allenfalls einzelne Buchstaben seien verbunden, ohne dass sie deshalb langsamer schreiben würden, so die Studierenden.

    Hey. So schreibe ich auch. Nie ein Wort in einem Zug. Ich setze neu an, lasse Lücken, immer. Einige Buchstaben stehen bei mir als Solitäre, einige sind nach rechts verbunden, aber nie nach links. Ganz sicher sind wir alle ein bisschen Druckschrift. Auch die Zugewanderten lernen zuerst die Druckschrift, die Schreibschrift eignet sich fast keine/r an. Dazu noch die Rechtsseitigkeit derjenigen, die aus dem arabischen Schriftraum kommen. Mit der lateinischen Schrift wird sie quasi umerzogen, aber unterschwellig bleibt sie.

    Die arabisch Literarisierten schreiben oft die lateinischen Buchstaben auch von rechts nach links wie arabische Zeichen, meist mit vielen Schleifen und Kringeln, da hilft kein Training. Was das wohl für Auswirkungen auf die lateinische Verbundschrift haben wird? Aussterben wird sie nicht, jedenfalls nicht sofort. Aber sie wird elitär, vermute ich. Wie sehr, ist von vielen Ursachen abhängig.

    An einigen Schrauben könnte man drehen. Das muss die Gesellschaft wollen, sprich, es einfordern. Pauschal über den Untergang erst der Handschrift, dann des Schreibens und schließlich des Abendlandes zu lamentieren, nützt nix.

    Literaturempfehlungen: Ute Andresen (Schreibpädagogin)

    Daniel Pennac: Wie ein Roman

    Zur Geschichte der Schreibschriften,

    der deutschen Kurrentschrift: kurzer Überblick

    Sandro Zanetti: Schreiben als Kulturtechnik

  • Schüttelreim (aus gegebenem Anlass)

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Samstag, 25.11.2017 in Schreiben

    Ei, verflixte Klappenkatze!

    Das Klappen deiner Katzenklappe
    fährt mir unter die Kappenglatze.
    Wenn ich dich bei den Tatzen schnappe
    und mit dir zu den Schnatzen tappe,
    verrutscht mir glatt die Glatzenkappe!

  • Verlag finden, aber wie?

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Donnerstag, 10.08.2017 in Schreiben

    Mein Manuskript ist fertig (zumindest von meiner Seite aus), aber wie komme ich jetzt zu einer Veröffentlichung?

    Mein Manuskript ist fertig (zumindest von meiner Seite aus), aber wie komme ich jetzt zu einer Veröffentlichung? Bekannt ist, dass Verlage an unverlangt eingesandten Manuskripten unbekannter AutorInnen ersticken (100 pro Woche, heißt es). Also habe ich Agenturen angeschrieben: Sechs Anschreiben, sechs Absagen. Denn auch Agenturen ersticken an unverlangt eingesandten Manuskripten unbekannter AutorInnen. Nächster Schritt: zwei Verlage (nicht die ganz großen, aber sehr gute), Antwort steht aus. Gefordert werden Exposé und Textprobe.

    Mit dem Exposé habe ich lange gekämpft, erst, nachdem ich meins einem Kollegen geschickt hatte (danke, Olaf!) habe ich die nötige Distanz gefunden, es als das zu betrachten, was es ist: ein Bewerbungsschreiben. Und so habe ich das Exposé völlig umformuliert: Veröffentlichung wäre Risiko für Verlag, weil kein Etikett aufzukleben, aber der und der Nutzen, das Besondere, mein Alleinstellungsmerkmal ist ... Außerdem hatte ich große Probleme mit dem Waschzettel, also die Handlung so zusammenzufassen, dass sie logisch wirkt und die Episoden nicht unmotoviert hin und her hüpfen. Wenn sowas passiert, liegt das mit Sicherheit am Manuskript, deshalb war für mich die Arbeit am Exposé noch einmal Arbeit an meinem Text.

    Wenn die Verlage auch ablehnen, hole ich mir eine professionelle Meinung. Zähneknirschend. Ein Autorencoaching als Dienstleistung (als solche auch zu einem entsprechenden Preis) hilft Debütautoren, auf den Markt zu kommen. Aber eigentlich läuft da ganz schön was schief, oder? Es ist Aufgabe der Verlage, das Potenzial eines Textes herauszufiltern und mit dem Autoren/der Autorin entsprechend zu arbeiten. Anscheinend lagern viele Verlage diese Aufgabe zunehmend aus und nehmen nur Material, an dem sie nicht mehr viel machen müssen. Folge: Sie sparen sich die Lektorinnen, die müssen ihre Leistungen den Autoren direkt anbieten und die zahlen für eine Leistung, die kostenlos sein sollte, weil sie zum Spektrum der Verlage gehören sollte.

    Ein Kreislauf, an dem ich mich nicht beteiligen will. Eigentlich. Und AutorInnen die kein Geld für Lektorat oder Coaching haben? Die brauchen Glück. Vieeel Glück.

    Linktipp zum Exposé: Textmanufaktur

    Literaturtipp: André Hille: Titel, Pitch und Exposé

    Nachtrag am 17.8.2017: Nach der Lektüre des Hille-Buches weiß ich, was immer noch nicht stimmt bei meinem Exposé. Oioioioi!

  • Pünktchen, Pünktchen

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Montag, 07.08.2017 in Gutes Deutsch, Schreiben

    Gehören Satzzeichen zur Schrift, fragt Rudolf Helmstetter in einem Zeit-Essay. Oft würden sie als "unbeträchtlich" angesehen, doch sie sind nicht nur immens wichtig für die Lesbarkeit, sondern unterscheiden die Schrift von der gesprochenen Sprache.

  • Prinzessin Eisenarsch

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Montag, 06.02.2017 in Schreiben

    Am 8. Januar 2017 um 13 Uhr habe ich den letzten Punkt unter mein Manuskript gesetzt. 274 Seiten, zwei Jahre Arbeit, zwei Jahre Frühaufstehen an Wochenenden, Feiertagen, zwei Jahre Schreiben vor und nach der Arbeit. Zwei Jahre habe ich Figuren mit mir herumgetragen, Zettel vollgekritzelt, Handlungen ent- und verworfen, gezweifelt und gejubelt. Unzählige Stunden am Computer, wenn andere im Bett lagen oder auf der Piste waren: Nennt mich Prinzessin Eisenarsch! Und jetzt?

    Erste Phase: Euphorie. Endlich fertig! Endlich ernten, was ich so lange bestellt habe. Jetzt kann mal Geld reinkommen!

    Zweite Phase: Zweifel. Ist das alles überhaupt relevant? Wen interessiert das? Und wie lange ist die Geschichte überhaupt lesbar?

    Dritte Phase: Liegen lassen! Wenn ich jetzt am Manuskript arbeite, würde ich alles zerstören.

    Vierte Phase I: Arbeit am Exposè. Dabei wird deutlich: Ich muss noch mal ran. Logische Fehler ausbügeln. Anschlüsse herstellen, lose Fäden aufgreifen und verknüpfen. Themen deutlicher machen. Seitenhandlungen, die in Sackgassen führen, rausnehmen oder verstricken. Vierte Phase II: Ein Testleser hat eine erste Version bekommen. Ich lese den Anfang in unserer Schreibgruppe "Passwort Pegasus" vor. Die Reaktionen sind gemischt. Inzwischen konnte ich wieder ran und habe schon erste Änderungen vorgenommen. Gleichzeitig habe ich mir die Webseiten von Literaturagenturen angesehen und eine Liste angelegt. Und mir kreist ein neues Romanthema im Kopf herum, an dem ich bereits arbeite. Ach ja, der Titel des aktuellen Projektes: Drin. Genauer gesagt: Drin. Wir sorgen für saubere Sprache. Dein Ex- und Hopp-Unwort-Filter

    Nachtrag: Das Projekt liegt seitdem auf Eis. Sicher werde ich es noch einmal hervornehmen und bearbeiten. Aber es war unglaublich wichtig, die Sache durchzuziehen und zum ersten Mal einen ganzen Roman abzuschließen.

  • TextArt hört auf

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Mittwoch, 07.12.2016 in Lesen, Schreiben

    Seit 16 Jahren ist die TEXTart auf dem Markt und eines von zwei federführenden (hihi) Magazinen für Kreatives Schreiben. Jetzt hört das Magazin, das im Quartalsrhythmus erscheint, überraschend auf. Anscheinend wurden sogar die TEXTart-MacherInnen von der Einstellung der Zeitschrift überrascht.

     Der aktuellen Ausgabe 4/2016 liegt ein Brief von Sandra Uschtrin bei, der Herausgeberin der konkurrierenden Federwelt. Übertitelt ist er mit: "Dies ist die letzte Ausgabe der TEXTart". Im Heft selbst nichts vom Aus der Zeitung: Ankündigungen für die nächste Ausgabe, Abowerbung, Werbung für Anzeigen. Im Editorial plaudert Chefredakteur Frank J. Schmitz über die Dinge, über die man in einem Editorial plaudert.

    Irritiert rufe ich die Homepage auf: Inhalte der aktuellen Ausgabe flashen über den Bildschirm. Wenn die wirklich aufhören würden, stände das doch ganz fett und rot auf der Seite, denke ich. Facebook? Nichts. Zurück zur Homepage, jetzt ist da was links, bleib doch mal stehen, da, schnell anklicken, sonst rutscht es wieder weg: Verteuerung der Produktion und abnehmendes Käuferinteresse seien die Gründe, dass "wir die Produktion nicht mehr aufrechterhalten können", heißt es etwas verschmörgelt auf der Homepage.

    Erst im August 2016 hatte Gründer und Herausgeber Oliver Buslau den Posten als Chefredakteur an Frank J. Schmitz abgegeben. Wie auch immer: schadeschade!

  • Grammatikblog: Tipp

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Montag, 24.10.2016 in Schreiben

    Noch ein Tipp (weil wir schonmal dabei sind): einen zauberhaften Grammatik-Blog, den ich allen wärmstens ans Herz lege:

    Angelika Jodl. Das Buch dazu heißt: "Die Grammatik der Rennpferde" und ich will es lesen. Unbedingt!

    Nachtrag am 7. Dezember: Ich habe mir "Die Grammatik der Rennpferde" zum Nikolaus geschenkt und bin begeistert. Entzückend! Spannend! Genau mein Motto: Deutsch darf auch Spaß machen. Unbedingte Empfehlung für DaZ-Lehrende in der Erwachsenenbildung und sprachbegeisterte Grammatikfreaks!

  • Action und Perspektive

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Dienstag, 11.10.2016 in Schreiben

    Wenn einer Figur etwas passiert, kann sie nicht darüber erzählen. Sie muss sofort reagieren und aufhören zu labern. Wie erzählt man das in der personalen Perspektive?

    Eine weitere Schreibbeobachtung: Mir fällt es schwer, Action-Szenen zu schreiben. Ich schleiche mich gern von hinten an, aus dem sicheren Versteck, Rückblende, jemand anders beobachtet und erzählt ... Als wäre da ein Dilemma: Wenn einer Figur etwas passiert, muss sie sofort reagieren. Sie kann nicht labern. Also muss jemand anders den Redepart übernehmen.

    Wenn ich gerade in einer personalen Erzählperspektive stecke, rutsche ich bei action-Szenen leicht ins Auktoriale. Auktorial mag ich nicht. Wirkt so onkelhaft.

    Was unterscheidet: »Ein Moment, im Nachhinein. Die Faust vor seinem Gesicht und der Gedanke: ›Das passiert jetzt mir!‹ Das Nächste, woran er sich erinnerte ...« und »Er sah die Faust auf sich zukommen. Blitzschnell wich er mit einer Drehung aus. Sein Angreifer setzte nach. Erwischt! Er spürte keinen Schmerz. Im Fallen dachte er verwundert: ›Das passiert jetzt mir?‹. Dann dachte er nichts mehr. Dunkelheit umfing ihn.«? Der Abstand.

    Erklärung: 1. Ich bin sehr dicht (zu dicht?) an meinen Figuren. 2. Personen, ihr Verhalten und ihre Interaktion: daraus entfaltet sich bei mir die Handlung. Nicht aus Szenen oder Bildern.

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