Poesieblog

  • Zur Absage der Leipziger Buchmesse

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Donnerstag, 10.02.2022 in Corona, Lesen, Schreiben

    Meine erste spontane Reaktion: Wenn die großen Verlage die Messe boykottieren, ist es an der Zeit, die Verlage zu boykottieren! Aber dann habe ich noch einmal recherchiert: Es lag nicht an den Verlagen. Jedenfalls nicht nur.

    "Es geht nicht darum, ob ein einzelner Konzernverlag hier sagt, er macht nicht mit. Das wäre sehr bedauerlich gewesen, ohne diese Verlagsgruppe die Messe zu organisieren – aber das war kein Grund", sagt Buchmesse-Chef Oliver Zille im mdr-Interview. Viele Verlage hätten signalisiert, dass die Vorbereitungszeit zu kurz gewesen sei. "'Vorbereitungszeit zu kurz' heißt immer, mit wie vielen Leuten sie das vorbereiten." Viele Verlage hätten "Personalausfälle in Größenordnungen". "Die Leute sind krank beziehungsweise sie sind in Quarantäne und sie haben Angst, sich in Leipzig bei einem Großereignis anzustecken", sagte Zille. Also doch Corona.

  • Coronamüde

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Mittwoch, 02.02.2022 in Corona, Schreiben

    Corona und diese vielen Digitalformate bringen eine große Vereinzelung. Und ich zum Beispiel bin müde, so als soloselbständige Einzelkämpferin.

    Der Corona-Alltag hat mich ausgebrannt. Ich hatte zum Glück Stipendien, und man ist ja auch sehr dankbar. Aber als Finanzierung sind Stipendien anstrengend, wenn sonst alles weggebrochen ist. Man verzettelt sich, erfindet ständig neue Projekte, und der Roman, der sich nicht in einem Förderzeitraum schreibt, bleibt liegen. Stattdessen haut man sich noch ein Projekt rein und noch eins und steckt jedesmal viel Arbeit in die Antragsprosa.

    Die Geber gehen zudem davon aus: Man macht eine Sache fertig. Freut sich. Überlegt sich was Neues. Stellt einen Antrag. Wartet. Wird abgelehnt. Schreibt noch einen Antrag ... Und wovon lebe ich dazwischen, wenn ich sonst nix habe? Beantragen, wenn ich noch in einer Förderung stecke, geht nicht, für dasselbe Projekt nochmal gefördert werden, geht nicht. Man hangelt sich so über die Abgründe. Besser als die Gießkanne wäre es zudem, unsere Brotberufe besser zu bezahlen. Gerade die Leute, die mit Menschen arbeiten, werden exorbitant schlecht bezahlt.

    Dazu kommen die Widrigkeiten des digitalen Alltags. Die Uni, die Volkshochschule, Webex, Zoom, edudip, jeder benutzt eine andere Plattform. Alle unterscheiden sich in kleinen, aber wichtigen Funktionen, das lernt man by doing im Kurs und mit der Unterstützung erfahrener Teilnehmer. Ich hatte nach jedem online-Kurs das unbefriedigende Gefühl, dass ich manche Leute nicht erreicht habe, obwohl viele TN sehr dankbar auf meine Angebote reagiert haben. Und nach einem Kurstag ist man völlig geschlaucht. Auch meine interaktive Corona-Schreibseite ist irgendwann wieder eingeschlafen. Kein Wunder, so viele Digitalformate, wer hat darauf schon Bock? Wenn man eh den ganzen Tag in der Zoom-Konferenz hängt?

  • Kunst schafft Resilienz

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Mittwoch, 26.01.2022 in Corona, Politisches, Sprachpolitik

    Corona, Omikron: Das Gesundheitsamt hatte das kreative Schreiben im Kultur: Haus Dacheröden nicht genehmigt. Die Veranstaltung gehöre nicht zur beruflichen Bildung und werde nicht über einen Bildungsträger angeboten, sagte die Mitarbeiterin des Gesundheitsamtes. »Dann darf sie nicht stattfinden.«

    Ob die Veranstaltung wirklich »unumgänglich notwendig« sei, fragte sie noch einmal. Wie bitte? Kunst ermöglicht uns, uns mit dem auseinanderzusetzen, was uns einschränkt, schmerzt, bewegt und umtreibt. Kunst ist wie die Träume, in denen sich das Unterbewusste der Gesellschaft regt und Emotionen und Erfahrungen verarbeitet. Kunst stellt Identifikationen bereit, stellvertretend kann man Grenzen überschreiten und Existentielles durchleben. Kunst erzeugt Gefühle, die es uns ermöglichen, die Welt auf eine bestimmte Art zu betrachten: mit einem Filter. Mit Distanz. Kunst schafft Orte des Rückzugs in einer auf Effizienz und Markt getrimmten Gesellschaft, Nischen, in denen man entspannen und Kraft schöpfen kann. Kunst erzeugt ein Gefühl von Gemeinschaft. Kunst schafft Resilienz.

    Kein Problem, die Veranstaltung digital zu anzubieten, darum geht es mir nicht. Und die Mitarbeiterin kann nichts für solche Entscheidungen. Mich erschreckt zutiefst, dass Kunst, Kultur und kulturelle Bildung anscheinend als Gedöns betrachtet werden, auf das man locker verzichten kann. Gerade das Schreiben schenkt uns Werkzeuge für die Bewältigung von Krisen, und das will ich in meinen Veranstaltungen weitergeben. Wenn alle Nischen dichtgemacht werden, die sich der Verwertungslogik entziehen – ich mag nicht über die Folgen nachdenken.

  • Man traut sich ja nicht mehr zu sagen ...

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Donnerstag, 26.08.2021 in Corona, Politisches

    ... dass man geimpft ist, sagte neulich eine Freundin. Wie zwei Verschwörerinnen haben wir uns angezwinkert. Ja, ich bin auch geimpft.

    Nach langem Nachdenken habe ich mich für Janssen (Johnson und Johnson) entschieden, den Einmalimpfstoff. Aber: Mich stört die Art, wie übers Impfen und über den Virus informiert und gesprochen wird. Dass Impfen als unausweichlich, als alleiniger "Königsweg" beschrieben wurde, auch von Medien, die ich eigentlich wegen ihrer Ausgewogenheit schätze. Dass man lange nirgendwo erfahren konnte, wie man sich noch vor Ansteckungen schützen kann (außer mit Masken und Abstand): Immunsystem stärken. Auf den Vitamin D3 und Vitamin K2-Spiegel achten. Dass mögliche Impf-Nebenwirkungen heruntergeredet werden und wurden. In meinem Umfeld haben einige Menschen Probleme bekommen. Eine Bekannte war wegen Problemen mit dem Herzmuskel im Krankenhaus, eine hat wegen Fieber und Schüttelfrost den Notarzt gerufen, bei einer Freundin hat eine Gürtelrose die Gelegenheit wahrgenommen, sich auszubreiten.

    Über die neuartigen mRNA-Vacczine wissen wir mehr als über jeden anderen Impfstoff. Dieses Wissen trägt nicht gerade zur Beruhigung bei. Im Gegenteil: Ich finde die Vorstellung beängstigend, dass Informationen in meine Zellen gebracht werden. In Fettzellen eingebettet! Man muss den Menschen zugestehen, dass sie Angst haben. Dass sie Zeit brauchen. Als ich im Frühsommer bei einer Hausärztin gesagt habe, dass ich noch überlege und sie gefragt habe, ob sie mich beraten könne, hat sie mich angeekelt angeschaut: "Sie sind doch nicht etwa eine von diesen IMPFGEGNERINNEN!"

    Wir können uns den Impfstoff aussuchen, und wir können auch Nein zur Impfung sagen. Das vergessen viele, die so vehement diskutieren. Dass wir die Wahl haben. Aber: Wer sich gegen eine Impfung entscheidet, hat die Verantwortung, sich und andere zu schützen. Immer. In jeder Situation. Mir persönlich war das zuviel. Wenn alle Ungeimpften diese Verantwortung wahrnehmen würden – bräuchten wir dann die Diskussion, ob man Ungeimpfte wie in einem Lockdown vom (im weitesten Sinne) kulturellen Leben erneut ausschließt? Ich meine, wer sich wie ein trotziges Kind verhält, wird auch so behandelt.

  • Ausnahmezustand

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Freitag, 16.04.2021 in Corona, Lesen

    Wir sind in einem Krieg: Alles Zivile ist auf Null heruntergefahren. Was nicht unmittelbar gebraucht wird, gilt als Luxus und deshalb als entbehrlich.

    Die Auswahl der Ausnahmen scheint willkürlich und ungerecht, man kann sich streiten, ob Solarien lebenswichtig sind. Und man kann sich streiten, wie groß die Gefahr ist, sich im Kino, im Museum, auf der Terrasse eines Restaurants, mit Corona anzustecken.

    Das Kleingewerbe vertrocknet und stirbt, je länger der Lockdown anhält. Auch Verlage. Wahrscheinlich werden nur die Großen bleiben, wahrscheinlich ändert sich die Verlagslandschaft grundlegend: weg vom klassischen Verlag, der mit den AutorInnen arbeitet, hin zum Dienstleister-Verlag, der für AutorInnen arbeitet.

    Der Kunde ist König. Die Arbeit eines Dienstleisterverlages, bei dem die AutorInnen für eine Veröffentlichung bezahlen, zielt nicht auf LeserInnen, sondern auf AutorInnen. Das hat Auswirkungen auf die Qualität der Bücher. Einige AutorInnen sind unbelehrbar und beratungsresitent. Ohnehin fragt man sich bei manchen Büchern, die auf dem Markt sind, wie die entstehen konnten – und das eigene nicht.

  • Corona, verpiss Dich!

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Donnerstag, 02.07.2020 in Corona

    Als ich die Amseln ins Spiel brachte, schlug sofort die Stimmung um: Alle atmeten erleichtert auf, ein Lächeln kroch auf die Gesichter. Wir hatten über Corona diskutiert, über Corona geschrieben, Corona hier und Corona dort. Mir wurde klar: Ich habe keine Lust mehr auf Corona. Und meine KursteilnehmerInnen im Kultur: Haus Dacheröden offensichtlich auch nicht. Es reicht. Es ist genug. Corona, verpiss dich!

  • Corona, Cosinus, Kokosnuss

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Donnerstag, 02.07.2020 in Corona

    Nach dem ersten ist vor dem zweiten Lockdown

    Wie war doch gleich das C-Wort, das in den letzten Wochen die Sprache okkupiert und das Leben bestimmt hat? Einfach alles war Co... Und jetzt? Mit einem Schnipp! sind wir wieder im Ursprungsmodus, die Kids in der Schule, das Home-Office aufgelöst, die Enkel bei den Großeltern, wir haben wieder Demokratie. Endlich wieder Struktur im Alltag, endlich wieder Platz für Schreibroutine. Chaotisch-Beängstigendes ist vorbei, die Frisur gerichtet und frisch getönt, die langen Haare sind ab.

    »Nach Corona wird nichts mehr so sein wie vorher« – schon vergessen? Vom bedingungslosen Grundeinkommen haben wir geträumt, vom Umbau des Gesundheitssystems in eines, bei dem der Mensch im Mittelpunkt steht, von angemessener Bezahlung für die Care-Berufe. Keine Autos, keine Flugzeuge, kein Industrie-Dreck. Und jetzt? Geblieben sind Abstand und Maske.

  • Schreiben über Corona

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Donnerstag, 04.06.2020 in Corona, Fundstücke

    Corona-Zeit ist Schreibzeit? Über Schreiben in der Krise denkt die Autorin dieses klugen Artikels auf "Jungle Writing" nach.
  • Demokratie krankt an Corona

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Donnerstag, 14.05.2020 in Corona, Politisches

    Zur Demokratie gehört das Aushandeln. Es gehört dazu, dass möglichst viele Stimmen gehört werden, dass auch Minderheiten zu Wort kommen, die keine Lobby haben, zum Beispiel Behinderte, alte und kranke Menschen, Illegale, Kinder, Sterbende. Ich erwarte, dass die Regierung Verhältnismäßigkeiten abwägt und allseitig informiert ist - dafür habe ich sie gewählt, und dafür bezahle ich sie mit meinen Steuergeldern.

    Jetzt, wo sich alles wieder lockert, und wir scheinbar ohne größere Blessuren in den Alltagsmodus fallen können, fragen sich viele, ob der "Lockdown" (scheußliches Wort) wirklich nötig gewesen ist. Ich kann das nicht beurteilen, und ich will das auch nicht. Aber: Mich irritiert der Ton, in dem die Diskussionen geführt werden. Klar gibt es Spinner, mehr als genug. Doch es ist gefährlich, Personen, die vor den massiven Einschränkungen demokratischer Grundrechte warnen, in einem Topf mit VerschwörungstheoretikerInnen, Rechten und EsoterikerInnen, ReichsbürgerInnen und anderen zu werfen.

    Die Emotionalisierung der Debatte beunruhigt mich sehr, und erinnert mich an die Argumente zum Jugoslawienkrieg, als allen, die gegen eine deutsche Beteiligung waren, unterstellt wurde, sie hätten auch den Holocaust der Nazis billigend in Kauf genommen. Zur Demokratie gehört das Aushandeln. Es gehört dazu, dass möglichst viele Stimmen gehört werden, dass auch Minderheiten zu Wort kommen, die keine Lobby haben, Behinderte, alte und kranke Menschen, Illegale, Kinder, Sterbende. Ich erwarte, dass die Regierung bei so massiven Eingriffen Verhältnismäßigkeiten abwägt und zwar auf der Grundlage einer maximal umfassenden Information – dafür habe ich sie gewählt, und dafür bezahle ich sie mit meinen Steuergeldern (nagut, das ist bei mir nicht viel). Und als Wählerin habe ich das Recht (die Pflicht!), die Regierung an ihre Pflicht und an das Grundgesetz zu erinnern.

    Dabei darf ich nicht mit der Moralkeule erschlagen werden. Keiner darf mir deshalb unterstellen, ich würde Menschenleben aufs Spiel setzen. Damit unsere ethischen und moralischen Grundwerte nicht aufweichen, muss jetzt offen über die negativen Folgen der Kontaktsperren gesprochen werden, darüber, dass auch in Krisenzeiten das Grundgesetz gilt und dass die Würde des Menschen unantastbar ist und bleibt. Juli Zeh hat über dieses Thema im "Focus" geschrieben. Und wurde, wie soll es anders sein, beschimpft.

    Nachtrag 28.5.: In einem Interview hat Christine Lieberknecht den Kirchen vorgeworfen, sie habe in der Corona-Zeit Sterbende alleingelassen und ihren Auftrag nicht erfüllt. Die Kirchen haben die Kritik zurückgewiesen, inzwischen hat sich Frau Lieberknecht mit ihrem Landesbischof ausgesprochen, hieß es.

  • Coronista

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Donnerstag, 16.04.2020 in Corona, Politisches

    Im ersten Lockdown

    Kein Corona-Tagebuch. Keine Glosse über Hamsterkäufe. Kein ABC-Darium mit Aufzählungen, was mir alles (nicht) fehlt, wie die Gesellschaft umdenken muss und dass nichts mehr so sein wird wie vor Corona. Nix über die tapferen VerkäuferInnen und die überlasteten Krankenschwestern, ÄrztInnen und AltenpflegerInnen. Keine Dys-, keine Utopie. Nix über bedingungsloses Grundeinkommen. Nein, ich strecke mich in der sozialen Hängematte aus (Arbeitslosengeld!), arbeite nach und nach alle Arbeit ab, die sich angesammelt hat (Wahnsinn! Was für ein riesiger Berg!), gehe jeden Tag spazieren, manchmal sogar mitten auf der Straße, ich mache Sport und backe Brot, jetzt wo es wieder Mehl gibt, und betrachte mit großer Freude und Zufriedenheit unsere Klopapiervorräte.

    Corona macht mir keine Angst – der Tod gehört zum Leben. Aber vieles, was gerade passiert, beunruhigt mich. Zum Beispiel, dass der Vater einer Freundin ganz allein im Pflegeheim sterben musste, seine Angehörigen und sogar seine Ärztin ihn in seinen letzten Stunden nicht besuchen, ihm beistehen und Abschied nehmen durften. Die Gleichgültigkeit den Menschen gegenüber, die auf Lesbos oder in anderen Lagern ausharren müssen. Angst macht mir, wie fragil sich Gewohntes, bisher scheinbar Unzerstörbares, erweist. Dass ein großer Teil unserer Wälder einen weiteren trockenen Sommer nicht überleben und der Klimawandel Nordeuropa wahrscheinlich in eine Steppe verwandeln wird, und dass das vielleicht schon im nächsten Jahr sein wird. Dass nach den Amseln jetzt auch die Meisen eine Krankheit haben sollen, die den Bestand dezimiert. Und dass trotz alldem gesunde Bäume gefällt und Glyphosat versprüht und die Massentierhaltungen fortgeführt und Flugzeuge und Autoverkehr nicht auf ein Minimum reduziert werden – das macht mir Angst.

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