Poesieblog

  • Im Deutschen sind Männer immer weiblich

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Dienstag, 15.08.2023 in Gender, Gutes Deutsch, Sprachpolitik

    Vom Reichtum unserer Sprache

    Puttenpuller, eindeutig männlich - oder?, Bild: Anke Engelmann
    Puttenpuller, eindeutig männlich - oder?, Bild: Anke Engelmann

    Unsere Sprache, das sind die Geschichten, die die alten Wörter tragen. Das ist die fließende Prosa eines gut geschriebenen Romans ebenso wie das Stakkato eines Rap-Gesangs, der über’n Hinterhof schallt. Das sind Humor, Erfindungsreichtum und der kreative Witz des deutschen Volksmundes. Sprache ragt aus der Vergangenheit in die Zukunft. Was für eine Fülle! Was für ein Schatz, der urdemokratisch allen gehört! Eine lebendige Substanz aus Bedeutung, Formen und Strukturen, die sich weitgehend selbst reguliert und gesellschaftlichen Veränderungen anpasst.

    Natürlicher Sprachwandel braucht Zeit. Regelungen per Dekret werden als Zwang empfunden, als Ein- und Übergriff in zutiefst Privates. Der Asterisk zum Beispiel, auch Genderstern genannt. Er soll Kategorien anzeigen, die, glaubt man Umfragen und dem eigenen Eindruck, dem überwiegenden Teil der Sprachbenutzer völlig schnuppe sind. Vielleicht genau deshalb soll er irritieren und stören. Er sprengt die Wortgrenzen und zerhackt den Fluss der Gedanken, die sich artikulieren wollen. Der Asterisk kommt als Platzhalter aus der Computersprache. Er mutet so ahistorisch und unsensibel an, als wäre jemand – »Ei, was nehmen wir denn da?« – mit dem Zeigefinger über der Tastatur gekreist. Das bringt die Menschen auf. Wer braucht ein solches Ungetüm?

    Der Normalbürger nicht. Er fühlt sich schon genug gegängelt von den kleinen Alltagsgemeinheiten deutscher Bürokratenseelen. Jetzt auch noch die Sprache! Permanent soll man um Fettnäpfchen und Tretminen herumeiern, mit uncharmantem Sprech, sperrig und unsexy. Sternchen hacken die Wörter in immer dünnere Scheiben (»Bürger*innenmeister*in«), Kongruenz funktioniert nicht mehr intuitiv, sondern man verheddert sich heillos, will man alles unter einen Hut bringen (»Ein*e kompetente*r Bürger*innenmeister*in«). Immer bürokratischer wird die Sprache, mit jedem genderneutralen Passiv, mit jeder »-schaft«-Wortbildung, mit jedem inflationären Gebrauch des Partizip I, der die Verlaufsform sprengt.

    Alle sollen gemeint sein. Wenige fühlen sich angesprochen. Viele werden ausgeschlossen. Da würde es auch nichts helfen, der Buchstabenreihe (Achtung: englisch aussprechen!) LBGTQAI+, die sich aktuell hinter dem Stern schart, und die für marginalisierte und bislang unsichtbare Gruppen stehen soll, weitere hinzufügen: O zum Beispiel für Ossi. Oder Ü50. Nein, inklusiv geht anders. Schreib- und Leseunkundige, die sich mühsam, Buchstabe für Buchstabe, die Wörter und ihre Bedeutungen erschließen, irritieren die Zeichen und die abstrakte Kategorie, für die sie stehen. Sie bilden eine Barriere und versperren die Teilhabe am Schriftdeutsch. Inklusive Sprache ist nicht inklusiv. Sie ist exklusiv, erschaffen von und für Menschen mit akademischem Hintergrund, die trotz aller Bildung keine Ahnung von Grammatik haben.

    Zum Beispiel übergehen sie die althergebrachten Genusmarker des Deutschen: die Artikel. Dabei zeigen die sich, genau wie die Personalpronomen, im Plural genderfluid stets in weiblicher Form. Grammatisch gesehen sind im Deutschen mehrere Männer (»sie«) immer weiblich. Zudem wäre es hilfreich, überkommene Begriffe auszumisten, denn seit Beginn der Grammatikschreibung des Deutschen werden die Kategorien Genus (grammatische Kategorie) und Sexus (biologisches Geschlecht) in einen Topf geworfen, was wesentlich zur Verwirrung beigetragen hat. Man könnte weiblich/feminin in DIE-Form umbenennen, männlich/maskulin in DER-Form, sächlich/neutrum in DAS-Form. Wären so nicht das Gender-Problem und das generische (sogenannte) Maskulinum zumindest auf der formalen Ebene elegant entschärft?

    Leider nicht. Denn längst geht es um mehr. Das zeigt die Auseinandersetzung um Joanne K. Rowling. Der Erfolgsautorin brauste 2020 ein Shitstorm um die Ohren, der auch sexistische Beschimpfungen, Vergewaltigungsandrohungen und öffentliche Bücherverbrennungen einschloss – und zwar von Menschen, die sich als links begreifen. In diesem Zusammenhang entstand ein neues Kunstwort: TERF, »Trans Exclusionary Radical Feminist« (»radikale Feministin, die Transmenschen ausschließt«).

    Denn auch Feministinnen gehören nicht per se zu den Guten. Nicht, wenn sie an der antiquierten Vorstellung festhalten, dass es biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt, Verzeihung, zwischen Personen mit und ohne Uterus. Joanne K. Rowling ist TERF, Alice Schwarzer ist es. Und ich bin es auch. Wie Rowling und Schwarzer bin ich dagegen, dass Schutzräume für Frauen, denen Männer Gewalt angetan haben, auch (Pardon) »Trans-Menschen mit Penis« offenstehen sollen. Rowling reagierte mit einem lesenswerten Essay, dem man das Bemühen um Ausgewogenheit anmerkt.[1]

    Welchem Geschlecht, ob biologisch oder sozial konstruiert, mein Gegenüber sich zuordnet, ist mir in aller Regel völlig schnuppe. Ich möchte nicht immerzu mit der Nase darauf gestoßen werden. Wem hilft es, wenn Marginalisierte sich einen Opferstatus erkämpfen? Das verschleiert die wirklichen Widersprüche und bindet Kräfte in Stellvertreterkriegen. Dieser Kulturkampf macht mir Angst, die Melange aus moralischer Entrüstung, Pedanterie und George Orwell. Mich regt die unerschütterliche Selbstgewissheit von Leuten auf, die meinen, immer recht zu haben, weil sie auf der Seite der Unterprivilegierten und Verfolgten stehen. Denn das hat Mao Tse-tung auch behauptet. Und Stalin.

    Am Glottisschlag, dem Pause gewordenen Genderstern, erkennt man, wer sich dazuzählt. Doch der Glottisschlag reicht nicht. Man ist genötigt, sich ständig selbst zu kontrollieren. Ist mir – o Schreck! – ein N-, M-, oder I-Wort herausgerutscht? Neue Retortenwörter sollen die belasteten Begriffe ersetzen, POC (»people of color«) zum Beispiel für Menschen mit dunkler Hautfarbe. POC! Wie kann man sich sicher in der Muttersprache bewegen, wenn Wörter von einem Tag auf den anderen nach Rassismus, Patriarchat, kolonialer Unterdrückung, alten weißen Männern, Mehrheitsgesellschaft und Heteronormalität stinken? Wie kann man sich an ihr erfreuen, wenn man von staubtrockenen Akronymen umgeben ist? Wörter können nicht böse sein. Nur die, die sie benutzen.

    Jeder soll so sprechen, wie der Schnabel gewachsen ist. Auch die inklusive Sprache sei niemandem verboten. Ich begrüße jeden Sprachwandel und ich freue mich, dass unser Bewusstsein für Ungerechtigkeiten und Ausgrenzungen in den letzten Jahren so stark gewachsen ist. Dass die Diskussion um die Sprache uns bewusst macht, wie privilegiert und auf wessen Kosten wir leben. Aber niemandem dürfen sprachlichen Verrenkungen wie die oben beschriebenen aufgenötigt werden.

    Schnell werden Kritiker mit der AfD in einen Topf gesteckt, oder schlimmer noch, in den sozialen Medien mit Dreck beworfen. Wer eine Moralkeule in der Hand hält, differenziert nicht. Er knüppelt drauflos. Zu den Vorrechten der Jugend gehört es, Forderungen zu stellen, die übers Ziel hinausschießen. Aber so geht das nicht! Man muss auch Sachen aushalten, die einem nicht gefallen! Zum Beispiel, dass nicht jede Peer-Group eine Dependance in der Sprache eröffnen kann.

    Es ist die Aufgabe des Alters, ein Gegengewicht herzustellen, sodass sich die Gegensätze ausbalancieren können. Aber wo sind sie, die Alten, die Kulturbewahrer? Im Juli 2022 haben sich Wissenschaftler mit einem Offenen Brief aus ihrem Elfenbeinturm gewagt und sich gegen den Glottisschlag im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk ausgesprochen: Germanisten, Linguisten, Übersetzer, Koryphäen in den Neunzigern, als ich Linguistik studiert habe.[2] Zwei Jahre zuvor, im Juli 2020, hatten Intellektuelle und Künstler aus dem englischsprachigen Raum mit einem Offenen Brief für freie Meinungsäußerung plädiert.

    »Der freie Austausch von Informationen und Ideen, das Lebenselixier einer liberalen Gesellschaft, wird täglich immer enger«, warnten die 152 Unterzeichner, zu denen neben Rowling u.a. Noam Chomsky, Margaret Atwood, Salman Rushdie und Daniel Kehlmann gehören. Sie konstatierten »eine Intoleranz gegenüber gegensätzlichen Ansichten, eine Vorliebe für öffentliche Schande und Ächtung und die Tendenz, komplexe politische Fragen in einer blendenden moralischen Gewissheit aufzulösen«.[3] Prompt wurde der Brief in den sozialen Medien als »Reaktion einer privilegierten Elite auf die Infragestellung ihrer kulturellen Hegemonie« gegeißelt, woraufhin einige der Unterzeichner wieder absprangen.

    Der Reichtum unserer Sprache spiegelt unseren kulturellen Reichtum. Ihn muss man teilen, ihn muss man verschenken. Er ermöglicht Freiheit, und zwar allen. Gerade wer aus der DDR kommt, kennt die subtile Schizophrenie der Anpassung und sollte es vehement ablehnen, sich neben der privaten eine öffentliche Sprache anzutrainieren, die ideologisch motiviert ist. Schon jetzt werden an einigen Universitäten Hausarbeiten ohne Asterisk bei der Bewertung eine Note herabgestuft. »Wenn wir nicht genau das verteidigen, wovon unsere Arbeit abhängt, können wir nicht erwarten, dass die Öffentlichkeit oder der Staat es für uns verteidigen.«[4], heißt es in dem Offenen Brief aus Übersee. Dem kann ich mich nur anschließen.


    Anke Engelmann hat Germanistik mit dem Schwerpunkt Sprachgeschichte und Linguistik studiert. Sie unterrichtet Alphabetisierung und kreatives Schreiben und ist als Schriftstellerin, Lektorin, Journalistin und Herausgeberin tätig.

    Quellen:
    [1] Essay von J. K. Rowling, abgedruckt in der Emma September/Oktober 2020 [19.1.2023]

    [2] Linguistik vs. Gendern. Offener Brief deutscher Sprachwissenschaftler vom Juli 2022 [13.9.2022]

    [3] Offener Brief von Intellektuellen, Schriftstellern und Künstlern vom 7. Juli 2020 [19.1.2023], (Übersetzung der Autorin)

    [4] ebda.

    Der Beitrag erschien im Palmbaum, Literarisches Journal aus Thüringen (Hg. Jens-Fietje Dwars), Quartus Verlag Bucha bei Jena, Heft 1/23

  • Linguistik vs. Gendern

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Donnerstag, 18.08.2022 in Gender, Gutes Deutsch

    Offener Brief von Sprachwissenschaftlern, Übersetzern, Philologen u.ä. gegen den Glottisschlag im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk (ÖRR).

    Im Juli 2022 haben bekannte und weniger bekannte Leute, die von Berufs wegen mit Sprache zu tun haben oder sich dazu berufen fühlen, sich gegen das Gendern im ÖRR ausgesprochen. Illustre Namen kommen zusammen, einige kenne ich noch aus meiner Studienzeit: Manfred Bierwisch, Gisela Zifonun und der ewige Querulant Peter Eisenberg. Auch Christoph Dieckmann, den ich sehr schätze, hat unterschrieben. Mich freut, dass die Linguistik endlich aus ihrem Elfenbeinturm kriecht. In meiner Studienzeit in den Neunzigern war das noch verpönt. Damals war Noam Chomsky der einzige Sprachwissenschaftler, der sich öffentlich zu aktuellen politischen Themen äußerte.

    Hier ist der Wortlaut des Offenen Briefes.

  • Polsterin oder Polstererin?

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Freitag, 17.12.2021 in Gender, Gutes Deutsch

    Zwar rückt Weihnachten immer näher, doch muss man deshalb die Substantive wie Weihnachtsbäume behängen, um weibliche oder was auch immer für Identitäten anzuzeigen? Ein gutes Beispiel, wie irritierend so etwas aussehen kann, ist die weibliche Form der Berufsbezeichnung Polsterer. Eine Polsterin wäre ein weibliches Sofakissen.

    Einst habe ich "Facharbeiter für Polstertechnik" gelernt, so stehts auf dem Zeugnis und daraus lässt sich die weibliche Form gut ableiten: Facharbeiterin für Polstertechnik. Aber die Facharbeiter und Facharbeiterinnen gibt es nicht mehr. Der Beruf heißt jetzt Polsterer. Und die weibliche Ableitung davon? Polstererin oder Polsterin?

    1. Das Polster ist ein Sofakissen.

    2. Der Polsterer ist einer, der Sofakissen herstellt.

    3. Die Polsterin ist ein weibliches Sofakissen.

    Das Suffix -er ist im Deutschen eines der wichtigsten Ableitungssuffixe, um aus Verben, die eine Tätigkeit bezeichnen, jemanden (oder auch etwas) zu machen, der diese Tätigkeit ausübt. Zum Beispiel lehren: der Lehrer, kehren: der Kehrer. Das ist die Grundform, das so genannte und verrufene generische Maskulinum. Auch erkennbar am Artikel: das Polster – DER Polsterer. In diesem Fall blöd, weil sich mit der Suffigierung das Ende quasi verdoppelt: Polster-er-in. Und so wird schon das -er des Wortstammes (ein altes -ar) als Ableitungssuffix interpretiert. Ein Argument für meine Abneigung, beim Gendern die Substantive wie Weihnachtsbäume zu behängen. Ich plädiere dafür, die Mittel zu verwenden, die die Sprache sowieso bereitstellt: die Artikel!

    der Polsterer (Singular mask.)

    die Polsterer (Singular fem. und Plural fem. und mask. = generisch)

    (Zum Nachlesen empfehle ich noch einmal Gisela Zifonun)

  • Gisela Zifonun: Die demokratische Pflicht und das Sprachsystem

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Donnerstag, 11.11.2021 in Gender, Gutes Deutsch

    Der Sprachwissenschaftlerin Gisela Zifonun ist nicht wohl bei "krampfhaften Vermeidungsstrategien", die das gendergerechte Formulieren zu einem "Slalom" machen. "So werden wir unsere Sprache mit all ihren Schwächen und (vielleicht) Ungerechtigkeiten endgültig zu lieben verlernen", fürchtet sie.

    Gefunden auf der Seite des Instituts für deutsche Sprache Mannheim (IDS): sehr informativer und differenzierter Beitrag von der Germanistin Prof. Gisela Zifonun zum Thema "gendern".

  • Gebacken und gebraten

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Montag, 10.09.2018 in Gutes Deutsch

    "Wer kennt das nicht? Man ist gerade frisch gebacken Eltern geworden ..."

     ... und ich bin die Hose an am ziehen, schwer mit meinem ab’m Bein. Ich weiß nicht mehr, wo ich obiges Kleinod gefunden habe. Aber ist es nicht von beispielloser Schönheit?

  • Der Ton macht die Musik

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Freitag, 18.08.2017 in Gutes Deutsch, Politisches

    Gestern habe ich ein Schreiben vom Jobcenter bekommen und bin total aufgebracht. Dieser Ton! Sofort habe ich mich gefühlt wie ein Kind, das ausgeschimpft wird, weil es sehr sehr böse war. Wer entwirft die Textbausteine für solche Schreiben? Wem bricht ein Zacken aus der Krone bei einem (wie heißt das Zauberwort) "Bitte"?

    Ich muss eine Summe zurückzahlen, das steht seit zwei Wochen von Rechts wegen fest und ich habe nur auf den Bescheid vom Jobcenter gewartet, auf dem die Daten stehen. Der kam nun und er ist folgendermaßen formuliert (arrrgh!)

    Zahlungsaufforderung

    Sehr geehrte Frau E., Sie haben bis zum 1. September 2017 einen Betrag in Höhe von ... unter Angabe von ... und Verwendung folgender Bankdaten zu überweisen (...)

    Die Konstruktion heißt "modaler Infinitiv". Beim Institut für deutsche Sprache Mannheim habe ich dazu folgendes gefunden: "haben zu (...) Die Verben bzw. Prädikatsausdrücke, auf die es angewendet wird, bezeichnen in der Regel Handlungen oder auch Prozesse und Zustände, die durch menschliche Handlungen beeinflusst, herbeigeführt oder durch Menschen verfügt werden können, vgl.: Ein Kind hat die Anweisungen der Eltern zu befolgen. Das Fenster hat immer offen zu sein. Diese Regel hat einfach zu stimmen. Sporadisch können sie jedoch auch Prozesse und Zustände bezeichnen, die von menschlichen Handlungen und Intentionen weitgehend unabhängig sind, vgl. etwa: Das Kind hat zu wachsen." (Zitat Ende)

    Hä? Ähm, liebe KollegInnen vom IDS: Bei mir kommt da was anderes an. Ein Befehl zum Beispiel oder eine Anweisung. Weil der Anweisende unsichtbar bleibt, haben sie eine Anmutung von universaler Geltung und man kann sich ihnen nur schwer entziehen:

    "haben + zu + Infinitiv" "Du hast die Klappe zu halten!" (=Schnauze!) "Ein Kind hat seinen Eltern zu gehorchen!" (=so steht es in der Bibel und so bleibt es in alle Ewigkeit)

    "sein + zu + Infinitiv: "Den Anweisungen des Personals ist unbedingt Folge zu leisten." (=Schalten Sie Ihr Gehirn aus und latschen Sie dem Käpt'n/Lokführer/Uniformierten hinterher)

    "Du hast hier nichts zu sagen" hätte zwei Interpretationen:

    1. (Frage:) "Angeklagter, haben Sie noch etwas zu sagen? (Antwort:) "Nein, ich habe nichts zu sagen." (modaler Hintergrund: wollen)

    2. (Einwand:) "Aber ..." (Gegenrede:) "Halt die Klappe. Du hast hier nichts zu sagen!" (modaler Hintergrund: dürfen)

    Was ist das für ein Beiton? Wo kommt der her? Gefunden habe ich dazu nicht viel. Wäre ein schönes Thema für eine wissenschaftliche Arbeit, liebe SprachwissenschaftlerInnen: "Der Gebrauch des modalen Infinitivs im Amtsdeutsch der deutschen Gegenwartssprache und seine modalen Implikationen. Untersuchung anhand der Kundenkorrespondenz der Jobcenter"  Bitte, bitte, gern geschehen.

  • Pünktchen, Pünktchen

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Montag, 07.08.2017 in Gutes Deutsch, Schreiben

    Gehören Satzzeichen zur Schrift, fragt Rudolf Helmstetter in einem Zeit-Essay. Oft würden sie als "unbeträchtlich" angesehen, doch sie sind nicht nur immens wichtig für die Lesbarkeit, sondern unterscheiden die Schrift von der gesprochenen Sprache.

  • Rechtschreibreform retour

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Freitag, 30.06.2017 in Gutes Deutsch

    29.6.2017: Endlich! Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat das Regelwerk für die Rechtschreibung aktualisiert, also dem tatsächlichen Gebrauch angepasst. Einige grässliche Eindeutschungen ("Majonäse", "Wandalismus") gelten jetzt beim Diktat wieder als Fehler. Wichtig zudem: Es gibt einen neuen Großbuchstaben: das ß (Tastatureingabe: Alt1E9E). Jetzt müssen nur noch alle Computertastaturen umgebaut und alle Schriftarten um diesen Buchstaben ergänzt werden. Immerhin steuert der Rat mit dieser Entscheidung der Tendenz entgegen, den Buchstaben ß ganz abzuschaffen.

    Vollständiges Regel- und Wörterverzeichnis

  • Wem gehört die Sprache?

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Freitag, 05.05.2017 in Gutes Deutsch, Sprachpolitik

    Auf Sprachlog äußert sich Sprachwissenschaftlerin Kristin Kopf kritisch zu einem Artikel in der Frankfurter Rundschau, der sich mit Sprachwandel beschäftigt und unter dem Stichwort "Deppenleerzeichen" erschien. Wichtigste Erkenntnis: Geändert hat sich, wer öffentlich schreiben darf.

  • Gut gendern: Mein *-X-_-/-Innen-Vorschlag

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Freitag, 28.10.2016 in Gender, Gutes Deutsch, Politisches

    Die gerechte Sprache gefällt mir nicht. Mit Passivkonstruktionen und geschlechtsneutralen Wortbildungssuffixen fördert sie das Beamtendeutsch. Hört auf, die Substantive wie Weihnachtsbäume zu behängen! Sternchen, Unterstrich, Schrägstrich, Groß-I, Klein-i, das bimmelt und klimpert und am Ende weiß eine garnicht mehr, was das Wort selbst eigentlich bedeutet!

    Gerechte Sprache? Unbedingt! Frauen sollen sich selbst deutlich nennen und andere sollen zeigen, dass sie Frauen wertschätzen. Wenn eine Frau von sich sagt: "Ich bin Lehrer", schmerzt mich das. Als ginge bei solchen (Nicht-)Bezügen ein wichtiger Teil dessen verloren, was diese Frau ausmacht. Als könnte sie sich in ihrem Beruf als Person nicht vollständig einbringen, sondern müsste sich anpassen und einschränken.

    Doch die gerechte Sprache, auch in ihrer soften Variante wie hier im Genderwörterbuch "Geschickt gendern", regt mich auf. Nach meinem Eindruck befördert sie mit Passivkonstruktionen und geschlechtsneutralen Wortbildungssuffixen wie -schaft, -heit, -keit das Beamtendeutsch. Wichtiger noch: Akteure werden ausgeblendet. Ich bin nämlich auch für eine lebendige und unmittelbar-konkrete Sprache. Ich will intuitiv und trotzdem gerecht sprechen und schreiben. Ich will deutlich sagen, wer etwas getan oder nicht getan hat.

    Mein Vorschlag: Hände weg vom Substantiv! Hört auf, die armen Dinger wie Weihnachtsbäume zu behängen! Sternchen, Unterstrich, Schrägstrich, Groß-I, Klein-i, das bimmelt und klimpert und am Ende weiß eine nicht mehr, was das Wort selbst eigentlich bedeutet. Jenseits aller Ver- und Entgenderung meine ich. Und bitte nicht an den Substantiven selbst rumbasteln, um sie zu "entschärfen"!

    Im Deutschen sind auch Artikel Genusmarker. Die doppelte Markierung Artikel + Anhängsel am Substantiv ist im Grunde völlig überflüssig. Nehmen wir doch einfach unsere Sprache ernst und die Möglichkeiten, die sie uns bietet. Machen wir das Gendern intuitiver und konkreter und die Grammatik auch! Echt jetze!

    Das Problem ist strukturell, die Substantiv-Fixiertheit auch. Das Deutsche (Linguistik Grundstudium, frei nach Schlegel) ist auf dem Weg vom synthetischen zum analytischen Sprachbau. Grammatische Kategorien wie das Geschlecht der Substantive werden überwiegend extern, also mit der, die und das oder ein, eine, ein markiert. Im Singular problemlos als Genusmarker zu benutzen: Ich gehe zu der Arzt. Ich gehe zu dem Arzt. Ich gehe zu einer Arzt. Ich gehe zu einem Arzt. Kann und will ich gern noch weiterdenken. Geht übrigens zurück auf Luise Pusch, hier etwas zum Schmökern über sie.

    Allerdings (Aufschrei) würden diejenigen keine sprachliche Repräsentanz finden, die sich als weder weiblich noch männlich verstehen. Ich finde jedoch (AUFSCHREI!), nicht jede Einzel-Identität sollte in der Allgemein-Sprache eine Botschaft eröffnen dürfen. Und nebenbei bemerkt, mich interessiert nicht, welche sexuelle Identität mein jeweiliges Gegenüber für sich beansprucht.

    Manchmal spreche ich übrigens tatsächlich so, das heißt, ich benutze die Artikel konsequent genusbezogen. Dann freue ich mich diebisch über Irritationen und darüber, "Unordnung" in die Sprache zu bringen und sie ein bisschen anzustubsen. Denn Sprache verändert sich nicht von allein! Apropos: Hier noch ein Artikel zum sogenannten generischen Maskulinum vom Sprachblog des Linguisten Anatol Stefanowitsch.

    Nachtrag: Weil im Deutschen der Stammvokal betont wird, schleifen sich seit Jahrtausenden die Endsilben ab. Auch die Genderkennzeichnung wird verblassen und verschwinden, wenn sie am Wortende angehangen wird: Voralthochdeutsch: gebanan, Althochdeutsch: geban, Mittelhochdeutsch: geben (kurzes e Stammvokal), Neuhochdeutsch: geben (gedehntes e Stammvokal, "Kannste mir mein Kaffe gehm?).

  • Das, dass, daß und der Sprachwandel

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Sonntag, 02.08.2015 in Gutes Deutsch, Schreiben

    Das ß wurde oft tot gesagt und hat doch überlebt. Dass (Das?) das deutsche Alphabet einmal in Schreib- und Druckschrift zwei kleine S unterschied, weiß heute kaum jemand, und so hat das ß eine Umdeutung erfahren: aus zwei wurde eins.

    Ob ich Probleme hätte, wenn alle Beiträge der Anthologie in der alten Rechtschreibung abgedruckt würden – also auch meiner, fragte ein Verleger, dem ich einen Text eingereicht hatte. Zwar schriebe ich sowieso vieles nach der alten, doch Eingriffe in meine Orthografie lehnte ich grundsätzlich ab, antwortete ich und fragte nach: Ob z.B. in der Ausgabe die Konjunktion »dass« oder andere Worte mit kurzem Stammvokal (Schluss, Stuss, muss) mit »ß« geschrieben würden?

    »Wir schreiben grundsätzlich daß«, schrieb der Verleger zurück, »wir haben ebenfalls klare Vorstellungen was ›richtig‹ ist«.

    Hiermit möchte ich betonen - Ich habe keine klaren Vorstellungen, was »richtig« ist. Im Gegenteil: Kategorien wie »richtig« oder »falsch« lehne ich für die Sprache ab. Ich entscheide, was ich für sinnvoll halte und dann schreibe ich so. In Seminaren, bei Lektoraten oder auf meiner Homepage biete ich mein Sprachwissen an. Keinesfalls würde ich anderen meine »Vorstellungen« aufzwingen, wenn ich merke, sie wissen, wovon sie schreiben.

    Sprachliche Regeln sind sinnvoll, denn sie dienen der Verständigung, vor allem, wenn sich alle nach demselben Regelsystem richten. Aber Regeln sind starr und die Wirklichkeit überholt sie. Immer! Deshalb müssen sie hinterfragt, und, wenn sie keinen Sinn mehr machen, gebrochen werden – denn von allein ändert sich nix. Regelverstöße müssen für mich sinnvoll sein und gut begründet werden, wer die Regeln überwinden will, muss sie kennen.

    Wir Berufs-SchreiberInnen haben eine besondere Verantwortung zur Sprachpflege. Ein »Das ist richtig so« (meint: ich richte mich nach einem Regelsystem, das u.U. starr und unbeweglich ist und das ich nicht hinterfragt habe) würde ich, z.B. als Korrektorin, nicht gelten lassen. Wenn ein Verlag so argumentiert, finde ich das – nunja – erschreckend. Sprachwandel folgt Gesetzen, und die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen.

    Das ß stammt aus einer anderen Schreibepoche und wird heute anders interpretiert als damals, nämlich als ein Buchstabe. Tatsächlich ist es ursprünglich ein Doppelbuchstabe und entstand aus der deutschen Schrift, die vor über 70 Jahren (1941) abgeschafft wurde. (Hitler nannte die deutsche Schrift übrigens abfällig »Schwabacher Judenlettern«, nehmt DAS, ihr Frakturfreunde und »Tod-allen-Kinderschändern«-Nazis!). Heute hat das ß vor allem einen Lautwert (scharfes S) und wird nach langen Vokalen (z.B. Diphthongen) z.B. am Wortende geschrieben: ich weiß, heiß.

    Auch die letzte Rechtschreib-Reform ist schon wieder mehr als zwei Jahrzehnte her (1995). Damals hatte man zunächst dafür plädiert, das ß ganz abzuschaffen, im Englischen (oder anderen Sprachen) komme es nicht vor, so das Argument. Doch das ß ist immer noch da. Sprachwandel eben. Einige der ehemals strikten Regeln sind aufgeweicht und der Schriftgebrauch hat sich dem Sprachgefühl angenähert – zum Beispiel bei der Konjunktion »dass«, wo der kurze Stammvokal inzwischen regelhaft mit Doppelkonsonant gekennzeichnet wird. Das hat sich eingebürgert, und ich finde das gut.

    Warum allerdings der Artikel »das« mit einem »s« geschrieben wird, leuchtet mir nicht ein. Auch wenn bei häufig verwendeten (stark frequentierten) Wörtern Ausnahmen oder Unregelmäßigkeiten eher toleriert werden als bei seltenen.

    (Anmerkung: Warum bei diesem Wort die Kennzeichnung der grammatischen Funktionen, nämlich »dass« als Konjunktion: »Ich sehe, dass das Haus an der Ecke steht«, und »das« als Artikel/Relativpronomen »Ich sehe das Haus, das an der Ecke steht«? Unnötig kompliziert! Für Schnell- und Vielschreiber ist die Trennung von »dass« und »das« eine ständige Fehlerquelle. Auch für mich – und ich kenne die Regeln! Logischer und einfacher wäre, beide Wortarten gleich zu scheiben und zwar (kurzer Stammvokal) mit Doppel-S (»dass«). Anmerkung 2: Allerdings müsste dann auch ess (statt es) oder mann (statt man) geschrieben werden. Ersteres kommt bestimmt irgendwann, letzteres ganz sicher nicht. Anmerkung 3: Die Variante: »Ich sehe, das das Haus an der Ecke steht« ist mir sympathischer. Das Doppel-S ist die sehr spezielle (= markierte) Form und die LeserInnen würden das Wort zuerst als Konjunktion interpretieren, auch wenn nur der Artikel steht.)

    Die Geschichte des »ß« Seit ihrer Abschaffung 1944 wird die (alte) deutsche Schrift nur noch vereinzelt geschrieben. Dass (Das?) das deutsche Alphabet einmal in Schreib- und Druckschrift zwei kleine S unterschied, weiß heute kaum noch jemand, und so hat das ß eine Umdeutung erfahren: Aus zwei wurde eins. Nur so konnte das ß überleben. Entstanden ist es aus der Ligatur (Verschmelzung) zweier Buchstaben, also als Doppelkonsonant. Genauer gesagt flossen zwei unterschiedliche kleine S zusammen, nämlich: ʃ und ɕ. (Deshalb gibt es das ß bislang nur als kleinen Buchstaben).

    Eine Ligatur diente der Verkürzung und funktionierte nur, wenn die Buchstaben tatsächlich in der entsprechenden Reihenfolge standen. Und das war nicht immer der Fall. Und jetzt folgt exklusiv die Erklärung, wann man in der deutschen Schrift welches S benutzt hat. Gefunden habe ich das in: Helmut Delbanco: Schreibschule der deutschen Schrift, herausgegeben vom Bund für deutsche Schrift und Sprache e.V. (2014, 9. Auflage):

    ɕ (das End-S) stand am Wortende, am Ende eines Teilwortes und vor Nachsilben wie -lein, -chen, -haft, -bot, -heit, und -lich, weil diese sinntragenden Nachsilben als Teilwörter galten. Das ʃ stand überall, wo das End-S nicht stand, also: - am Wort- und Silbenanfang, - im Inneren eines Wortes (z.B. auch in Buchstabenkombinationen wie -sch-, -sp-, -st-) Die Kombination [ʃɕ] stand demnach, wenn das zweite S ein Wort oder Teilwort abschloss: Faʃɕ, Kuʃɕ, ich muʃɕ, Imbiʃɕbude, ich saʃɕ, miʃɕ-achten, Gewiʃɕ-heit, daʃɕ, Täʃɕ-chen, eʃɕ-bar, häʃɕ-lich (heute: Fass, Kuss, ich muss, Imbissbude, ich saß, missachten, Gewissheit, dass, Tässchen, essbar, hässlich) Und: Für [ʃɕ] durfte in der deutschen Schrift immer ß geschrieben werden.

    Wie gesagt: Das ist unglaublich lange her. Geschrieben wurde damals mit einer Feder, die in ein Tintenfass getunkt wurde, auch Schreibmaschinen existierten bereits. Die Kinder lernten auf Schiefertafeln schreiben. Füller mit Tintenpatronen, Kugelschreiber oder gar Computer waren nicht in Sicht. Kaum vorstellbar. Meinen Text habe ich übrigens zurückgezogen. Aber gut, das wir drüber geredet haben. Und schön, das, dass und daß die Sprache so bunt sein kann.

    Noch eine Literaturempfehlung zu dem Thema: Frank Müller: ß. Ein Buchstabe wird vermisst. Eichborn-Verlag, Frankfurt a.M., 2008

  • Lügenpresse

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Mittwoch, 14.01.2015 in Gutes Deutsch, Politisches

    Das Unwort des Jahres 2014 heißt: Lügenpresse. Ein wichtiges Zeichen in Zeiten, in denen Terroristen einfach in Redaktionen marschieren und die Leute abknallen. Zur Herkunft des Wortes ein Überblick in der taz.  Das Unwort des Jahres wird seit 1991 bestimmt. Die Aktion hat der Sprachwissenschaftler Horst Dieter Schlosser ins Leben gerufen.

  • Schloss oder Schloß?

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Samstag, 01.11.2014 in Gutes Deutsch

    So kann man's auch machen: In Beyernaumburg hat man die Frage ss oder ß ganz pragmatisch gelöst: Beides!

    Schloss oder Schloß?, Bild: Anke Engelmann
    Schloss oder Schloß?, Bild: Anke Engelmann
  • Hitsche und verhohnepiepeln

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Freitag, 04.10.2013 in Gutes Deutsch

    sind die sächsischen Wörter 2013. "Forhohnebibeln", so im Original, gibt es auch in Thüringen, ich würde es allerdings schreiben wie in der Überschrift: verhohnepiepeln. Schönes Wort, das!

  • Na super!

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Montag, 30.09.2013 in Gutes Deutsch

    Wie steigert man einen Superlativ? Die Jugendsendung Clipster im Fernsehsender einsFestival gibt Nachhilfe: super - superer (am supersten? oder am superersten?) Hit - hitiger (am hitigsten?) Poesiebüro meint: Das ist noch clipsterer als clipstig! Nix für ungut!

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