Poesieblog

  • Man traut sich ja nicht mehr zu sagen ...

    ... dass man geimpft ist, sagte neulich eine Freundin. Wie zwei Verschwörerinnen haben wir uns angezwinkert. Ja, ich bin auch geimpft.

    Nach langem Nachdenken habe ich mich für Janssen (Johnson und Johnson) entschieden, den Einmalimpfstoff. Aber: Mich stört die Art, wie übers Impfen und über den Virus informiert und gesprochen wird. Dass Impfen als unausweichlich, als alleiniger "Königsweg" beschrieben wurde, auch von Medien, die ich eigentlich wegen ihrer Ausgewogenheit schätze. Dass man lange nirgendwo erfahren konnte, wie man sich noch vor Ansteckungen schützen kann (außer mit Masken und Abstand): Immunsystem stärken. Auf den Vitamin D3 und Vitamin K2-Spiegel achten. Dass mögliche Impf-Nebenwirkungen heruntergeredet werden und wurden. In meinem Umfeld haben einige Menschen Probleme bekommen. Eine Bekannte war wegen Problemen mit dem Herzmuskel im Krankenhaus, eine hat wegen Fieber und Schüttelfrost den Notarzt gerufen, bei einer Freundin hat eine Gürtelrose die Gelegenheit wahrgenommen, sich auszubreiten.

    Über die neuartigen mRNA-Vacczine wissen wir mehr als über jeden anderen Impfstoff. Dieses Wissen trägt nicht gerade zur Beruhigung bei. Im Gegenteil: Ich finde die Vorstellung beängstigend, dass Informationen in meine Zellen gebracht werden. In Fettzellen eingebettet! Man muss den Menschen zugestehen, dass sie Angst haben. Dass sie Zeit brauchen. Als ich im Frühsommer bei einer Hausärztin gesagt habe, dass ich noch überlege und sie gefragt habe, ob sie mich beraten könne, hat sie mich angeekelt angeschaut: "Sie sind doch nicht etwa eine von diesen IMPFGEGNERINNEN!"

    Wir können uns den Impfstoff aussuchen, und wir können auch Nein zur Impfung sagen. Das vergessen viele, die so vehement diskutieren. Dass wir die Wahl haben. Aber: Wer sich gegen eine Impfung entscheidet, hat die Verantwortung, sich und andere zu schützen. Immer. In jeder Situation. Mir persönlich war das zuviel. Wenn alle Ungeimpften diese Verantwortung wahrnehmen würden – bräuchten wir dann die Diskussion, ob man Ungeimpfte wie in einem Lockdown vom (im weitesten Sinne) kulturellen Leben erneut ausschließt? Ich meine, wer sich wie ein trotziges Kind verhält, wird auch so behandelt.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Donnerstag, 26.08.2021 in Corona, Politisches

  • Freewriting vorm Workshop

    Digitale Kurse haben auch gute Seiten. Zum Beispiel können Menschen teilnehmen, die nicht vor Ort sein können. Aber ihre Vorbereitung dauert länger. Man muss gut strukturieren, die Online-Hilfsmittel für die TeilnehmerInnen bereitlegen und alle sichten. Deshalb sitze ich am Workshop-Tag Stunden vorher auch schon am Rechner.

    Ach, ich mag nicht. Das Abgleichen und Links probieren. Irgendwie würde ich jetzt gern noch ein bisschen über Hannes nachdenken. Oder einfach so schreiben ...

    Schreiben. Wie tröstlich. Das Klappern der Tastatur umhüllt mich wie die Geräusche auf einem Schiff. Ich verlasse die Realität. Fahre in den Tunnel ein, meine Aufmerksamkeit fokussiert sich, der Blick wandert zwischen Tastatur und den Zeilen auf dem Bildschirm. Nur verschwommen nehme ich meinen Schreibtisch wahr, das Papier darauf, die Becher mit den Stiften, das Metall-Lineal direkt vor mir.

    Dabei wird es nachher bestimmt schön. Aber dieses Abgleichen. Das ist wie ... Buchhaltung. Ja. Digitale Kurse haben viel BuchhalTERisches. Mit Insider-Betonung auf der vorletzten Silbe: BuchhalTERisch.
    Ich fang dann jetzt mal an. Hülft ja nüscht. Muss ja.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Samstag, 24.04.2021 in Schreiben

  • Ausnahmezustand

    Wir sind in einem Krieg: Alles Zivile ist auf Null heruntergefahren. Was nicht unmittelbar gebraucht wird, gilt als Luxus und deshalb als entbehrlich.

    Die Auswahl der Ausnahmen scheint willkürlich und ungerecht, man kann sich streiten, ob Solarien lebenswichtig sind. Und man kann sich streiten, wie groß die Gefahr ist, sich im Kino, im Museum, auf der Terrasse eines Restaurants, mit Corona anzustecken.

    Das Kleingewerbe vertrocknet und stirbt, je länger der Lockdown anhält. Auch Verlage. Wahrscheinlich werden nur die Großen bleiben, wahrscheinlich ändert sich die Verlagslandschaft grundlegend: weg vom klassischen Verlag, der mit den AutorInnen arbeitet, hin zum Dienstleister-Verlag, der für AutorInnen arbeitet.

    Der Kunde ist König. Die Arbeit eines Dienstleisterverlages, bei dem die AutorInnen für eine Veröffentlichung bezahlen, zielt nicht auf LeserInnen, sondern auf AutorInnen. Das hat Auswirkungen auf die Qualität der Bücher. Einige AutorInnen sind unbelehrbar und beratungsresitent. Ohnehin fragt man sich bei manchen Büchern, die auf dem Markt sind, wie die entstehen konnten – und das eigene nicht.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Freitag, 16.04.2021 in Corona, Lesen

  • Als ich die Amseln ins Spiel brachte, schlug sofort die Stimmung um: Alle atmeten erleichtert auf, ein Lächeln kroch auf die Gesichter. Wir hatten über Corona diskutiert, über Corona geschrieben, Corona hier und Corona dort. Mir wurde klar: Ich habe keine Lust mehr auf Corona. Und meine KursteilnehmerInnen im Kultur: Haus Dacheröden offensichtlich auch nicht. Es reicht. Es ist genug. Corona, verpiss dich!

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Donnerstag, 02.07.2020 in Corona

  • Corona, Cosinus, Kokosnuss

    Nach dem ersten ist vor dem zweiten Lockdown

    Wie war doch gleich das C-Wort, das in den letzten Wochen die Sprache okkupiert und das Leben bestimmt hat? Einfach alles war Co... Und jetzt? Mit einem Schnipp! sind wir wieder im Ursprungsmodus, die Kids in der Schule, das Home-Office aufgelöst, die Enkel bei den Großeltern, wir haben wieder Demokratie. Endlich wieder Struktur im Alltag, endlich wieder Platz für Schreibroutine. Chaotisch-Beängstigendes ist vorbei, die Frisur gerichtet und frisch getönt, die langen Haare sind ab.

    »Nach Corona wird nichts mehr so sein wie vorher« – schon vergessen? Vom bedingungslosen Grundeinkommen haben wir geträumt, vom Umbau des Gesundheitssystems in eines, bei dem der Mensch im Mittelpunkt steht, von angemessener Bezahlung für die Care-Berufe. Keine Autos, keine Flugzeuge, kein Industrie-Dreck. Und jetzt? Geblieben sind Abstand und Maske.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Donnerstag, 02.07.2020 in Corona

  • Corona-Zeit ist Schreibzeit? Über Schreiben in der Krise denkt die Autorin dieses klugen Artikels auf "Jungle Writing" nach.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Donnerstag, 04.06.2020 in Corona, Fundstücke

  • Demokratie krankt an Corona

    Zur Demokratie gehört das Aushandeln. Es gehört dazu, dass möglichst viele Stimmen gehört werden, dass auch Minderheiten zu Wort kommen, die keine Lobby haben, zum Beispiel Behinderte, alte und kranke Menschen, Illegale, Kinder, Sterbende. Ich erwarte, dass die Regierung Verhältnismäßigkeiten abwägt und allseitig informiert ist - dafür habe ich sie gewählt, und dafür bezahle ich sie mit meinen Steuergeldern.

    Jetzt, wo sich alles wieder lockert, und wir scheinbar ohne größere Blessuren in den Alltagsmodus fallen können, fragen sich viele, ob der "Lockdown" (scheußliches Wort) wirklich nötig gewesen ist. Ich kann das nicht beurteilen, und ich will das auch nicht. Aber: Mich irritiert der Ton, in dem die Diskussionen geführt werden. Klar gibt es Spinner, mehr als genug. Doch es ist gefährlich, Personen, die vor den massiven Einschränkungen demokratischer Grundrechte warnen, in einem Topf mit VerschwörungstheoretikerInnen, Rechten und EsoterikerInnen, ReichsbürgerInnen und anderen zu werfen.

    Die Emotionalisierung der Debatte beunruhigt mich sehr, und erinnert mich an die Argumente zum Jugoslawienkrieg, als allen, die gegen eine deutsche Beteiligung waren, unterstellt wurde, sie hätten auch den Holocaust der Nazis billigend in Kauf genommen. Zur Demokratie gehört das Aushandeln. Es gehört dazu, dass möglichst viele Stimmen gehört werden, dass auch Minderheiten zu Wort kommen, die keine Lobby haben, Behinderte, alte und kranke Menschen, Illegale, Kinder, Sterbende. Ich erwarte, dass die Regierung bei so massiven Eingriffen Verhältnismäßigkeiten abwägt und zwar auf der Grundlage einer maximal umfassenden Information – dafür habe ich sie gewählt, und dafür bezahle ich sie mit meinen Steuergeldern (nagut, das ist bei mir nicht viel). Und als Wählerin habe ich das Recht (die Pflicht!), die Regierung an ihre Pflicht und an das Grundgesetz zu erinnern.

    Dabei darf ich nicht mit der Moralkeule erschlagen werden. Keiner darf mir deshalb unterstellen, ich würde Menschenleben aufs Spiel setzen. Damit unsere ethischen und moralischen Grundwerte nicht aufweichen, muss jetzt offen über die negativen Folgen der Kontaktsperren gesprochen werden, darüber, dass auch in Krisenzeiten das Grundgesetz gilt und dass die Würde des Menschen unantastbar ist und bleibt. Juli Zeh hat über dieses Thema im "Focus" geschrieben. Und wurde, wie soll es anders sein, beschimpft.

    Nachtrag 28.5.: In einem Interview hat Christine Lieberknecht den Kirchen vorgeworfen, sie habe in der Corona-Zeit Sterbende alleingelassen und ihren Auftrag nicht erfüllt. Die Kirchen haben die Kritik zurückgewiesen, inzwischen hat sich Frau Lieberknecht mit ihrem Landesbischof ausgesprochen, hieß es.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Donnerstag, 14.05.2020 in Corona, Politisches

  • Coronista

    Im ersten Lockdown

    Kein Corona-Tagebuch. Keine Glosse über Hamsterkäufe. Kein ABC-Darium mit Aufzählungen, was mir alles (nicht) fehlt, wie die Gesellschaft umdenken muss und dass nichts mehr so sein wird wie vor Corona. Nix über die tapferen VerkäuferInnen und die überlasteten Krankenschwestern, ÄrztInnen und AltenpflegerInnen. Keine Dys-, keine Utopie. Nix über bedingungsloses Grundeinkommen. Nein, ich strecke mich in der sozialen Hängematte aus (Arbeitslosengeld!), arbeite nach und nach alle Arbeit ab, die sich angesammelt hat (Wahnsinn! Was für ein riesiger Berg!), gehe jeden Tag spazieren, manchmal sogar mitten auf der Straße, ich mache Sport und backe Brot, jetzt wo es wieder Mehl gibt, und betrachte mit großer Freude und Zufriedenheit unsere Klopapiervorräte.

    Corona macht mir keine Angst – der Tod gehört zum Leben. Aber vieles, was gerade passiert, beunruhigt mich. Zum Beispiel, dass der Vater einer Freundin ganz allein im Pflegeheim sterben musste, seine Angehörigen und sogar seine Ärztin ihn in seinen letzten Stunden nicht besuchen, ihm beistehen und Abschied nehmen durften. Die Gleichgültigkeit den Menschen gegenüber, die auf Lesbos oder in anderen Lagern ausharren müssen. Angst macht mir, wie fragil sich Gewohntes, bisher scheinbar Unzerstörbares, erweist. Dass ein großer Teil unserer Wälder einen weiteren trockenen Sommer nicht überleben und der Klimawandel Nordeuropa wahrscheinlich in eine Steppe verwandeln wird, und dass das vielleicht schon im nächsten Jahr sein wird. Dass nach den Amseln jetzt auch die Meisen eine Krankheit haben sollen, die den Bestand dezimiert. Und dass trotz alldem gesunde Bäume gefällt und Glyphosat versprüht und die Massentierhaltungen fortgeführt und Flugzeuge und Autoverkehr nicht auf ein Minimum reduziert werden – das macht mir Angst.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Donnerstag, 16.04.2020 in Corona, Politisches

  • Kein Kommentar …

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Dienstag, 05.02.2019 in Gefunden

  • Lass es raus? Über Trauma schreiben

    In der Poesietherapie geht es darum, anderen das Schreiben als Ressource zu erschließen, mit deren Hilfe sie sich gefahrlos mit schweren Verletzungen auseinandersetzen können. Doch wie schreibt man über Trauma(ta), und zwar gefahrlos für sich und andere?

    Das Unsagbare auszudrücken, und zwar so, dass andere es auch annehmen können, reizt mich. Hinter diesen beiden Halbsätzen steckt eine Transferleistung, ein Prozess: "Unsagbares ausdrücken. Andere sollen es lesen können." Es geht um mehr als darum, Betroffenheit zu artikulieren und "alles rauszulassen".

    "Alles rauslassen", ist das nicht Poesietherapie? Im Prinzip ja, aber – nicht einfach so, ungefiltert. Wenn ich nur für mich schreibe, soll mir das gut tun, keinesfalls sollte ich mich in Gedankenschleifen festfahren und steckenbleiben. Wenn mein Text andere ansprechen soll, muss ich mir einen gewissen Status von Bewältigung erarbeitet haben, der meine LeserInnen mitnimmt und ihnen per Identifizierung eine Katharsis ermöglicht. Bedeutet bei mir, viel zu überarbeiten.

    Ob nur für sich oder mit der Absicht einer literarischen Bewältigung: Wer über Traumata schreibt, muss aufpassen, von seinen Gefühlen nicht überwältigt zu werden. Dann rutscht man in die traumatisierende Situation, der Körper reagiert auf die scheinbar akute Gefahr z.b. mit Dissoziation, Schreibblockade – aus. Das heißt fürs Schreiben: Gefühle (und Kopf) weglassen. Keine Analysen. Schildern, was zu beobachten ist, wie die Leute reagieren, wie sie ihre Körperempfindungen ausagieren. Nicht interpretieren. Nicht behaupten: Jemand hat Angst. Beschreiben: Was macht derjenige gerade? Woran erkennt man, dass er/sie Angst hat, wütend ist, überwältigt wird, sich hilflos fühlt?

    Das grundlegende Handwerkszeug guten Schreibens also, den Empfehlungen in vielen Schreibratgebern entsprechend, mit Adjektiven und Zuschreibungen sparsam umzugehen. Gut ist auch, einen Gegenpol in der Geschichte zu haben, vielleicht eine Liebe oder eine Freundschaft. Seitdem ich es so mache, fühlt es sich für mich gut an und die Texte sind nicht nur lesbar, sondern haben manchmal eine große Wucht. »Schreibend kommt man über die Dinge«, meinte Christa Wolf, und ich sehe das auch so. Eine Verletzung ist der ideale Urgrund einer aventiure, danke Ulrike. Aber man muss aufpassen, sich damit beschäftigt haben und den Unterschied zwischen Gefühlen (Kopf) und Empfindungen (Körper) spüren und machen. Texte, die traumatisieren oder Traumata antriggern, will niemand lesen. Die Leute wollen Stellvertreter-Geschichten, die ihnen helfen, über ihre eigenen Dinge zu kommen. Zu Recht.

    Tipps fürs Schreiben:

    • Namen ändern! Mit der Erzählstimme spielen: Ich-ErzählerIn? 3. Person?
    • Handlung! Zeigen, nicht behaupten!
    • Gute Vorarbeit! Steckbrief von Personen ausarbeiten, nicht vergessen, ihr Äußeres zu schildern (man neigt dazu, weil man die Beteiligten ja kennt), Handlung/chronologischen Ablauf vorab skizzieren
    • Körperempfindungen schildern, wie ein Außenstehender sie beobachten würde. (auch wichtig, um sich selbst zu schützen)
    • mit Distanz spielen (Perspektive: rin in den Kopp der Protagonisten – und wieder raus und von außen gucken.)
    • Humor! (nicht Sarkasmus oder Ironie)

    Handwerk nicht vergessen, erzählerische Basics im Blick behalten:

    • Struktur: Entwicklungen und zeitliche Verläufe deutlich machen, Rückblenden einsetzen, nicht zu viel analysieren.
    • Auf Erzähltempus achten, sprachliche Mittel bewusst einsetzen, um Geschwindigkeiten zu regulieren.
    • Dramaturgie beachten, Plot Points, Verknüpfungen schaffen
    • auf blinde Flecken achten (Testleser!) (manches sieht man nicht oder es ist so selbstverständlich, dass es für einen selbst immer mitschwingt.)
    • Vorsicht bei Bildern und Metaphern. Sie können helfen, Distanz zu finden, aber können auch schnell zu viel werden. Besser: ein durchgehendes Motiv finden, das es erlaubt, Unsagbares (z.B. Dissoziation) deutlich zu machen

    Und natürlich: auf sich aufpassen! Pausen machen, sich beim Schreiben erden, sich Rituale suchen. Manchmal zünde ich vorm Schreiben eine Kerze an. Wenn ich mein Pensum bewältigt habe, stelle ich mir vor, einen Topf zuzumachen, dann puste ich die Kerze aus und mache eine Computer-Pause. Technisches:

    • kritisch bleiben, den Text nicht zu früh aus der Hand geben, viel überarbeiten
    • Testleser! am besten Profis, die was vom Handwerk verstehen, achtsam kritisieren und auf der Sachebene bleiben. Bemerkungen wie "Du musst aber schon schlimme Sachen erlebt haben" sind kontraproduktiv.
    • übers Schreiben reflektieren, z.B. Schreibtagebuch führen.

    Ich benutze ein Heft und habe zudem im Computer neben dem fortlaufenden Text einen Ordner mit »Überlegungen« (aus dem heraus ich Sachen auch in andere Ebenen heben kann, z.B. diesen Text hier). Ich setze Techniken ein, die nicht stoff- oder/und stark formgebunden sind (Freewriting, Cluster). Wenn ich gut, nee, wenn ich mies drauf bin, aber nicht so mies, dass mir nichts mehr einfällt, spiele ich mit Formen: Leipogramm, Anagramm, Konstellationsgedicht nach Eugen Gomringer … Aber das gehört jetzt schon wieder in die Kategorie Betriebsgeheimnis.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Sonntag, 14.10.2018 in Poesietherapie, Schreiben

  • Betroffenheitsprosa?

    Ich mag keine Betroffenheitsprosa. Dabei müsste ich als Poesietherapeutin eigentlich »Hurra!« schreien, wenn sich jemand schreibend mit Verletzungen und Traumata auseinandersetzt. Betroffenheitsprosa, was für ein unangenehm abwertender Begriff.

    Habe mich gerade entschlossen, über ein biografisches Thema zu schreiben, und ich will auf keinen Fall "Betroffenheitsprosa" fabrizieren. Betroffenheitsprosa? Was für ein unangenehm abwertender Begriff! Vermutlich stammt er aus "Dummdeutsch" von Eckhard Henscheid, einem satirisch gemeinten Wörterbuch im Nachklang der 68er, aus dem sich auch der "Gutmensch" in unseren Wortschatz aufgemacht hat.

    Aber ich finde kein besseres Wort, Kitsch trifft es nicht. Betroffenheitsprosa (oder -lyrik), da weiß jeder was gemeint ist und sowas kann kitschig sein, aber nicht jeder Kitsch erzählt von Verletzungen. Mir fallen jede Menge Bücher ein, die mich sehr berührt haben und bei denen ich zu spüren meine, dass sich der Autor/die Autorin mit Gewalterlebnissen auseinandersetzt. Meist Entwicklungsromane, Quest, Aventiure (Der "Parcival"?). Zum Beispiel vieles von Angelika Klüssendorf. Oder Kerstin Mlynkec: Drachentochter. Und natürlich der Klassiker: Anton Reiser von Karl Philipp Moritz.

    Erzählungen brauchen einen Konflikt, etwas, was den Helden, die Heldin treibt und oft ist das eine Wunde, ein Trauma. Ich lese gern Geschichten, in denen sich Leute aus ihrem Dreck rausarbeiten. Aber manchmal wird es mir als Leserin zu viel und ich denke: Wie peinlich! Oder unfreiwillig komisch, ja auch das. Und das würde ich "Betroffenheitsprosa" nennen.

    Betroffenheitsprosa ist für mich: Der Autor/die Autorin schreibt über ein persönliches Thema und man merkt das dem Text an.

    → als Leserin fühle ich mich unangenehm berührt, der Text ist mir peinlich oder stößt mich ab, als hätte sich jemand vor mir entblößt, etwas sehr Intimes gezeigt

    → als Leserin bemerke ich eine innere Haltung des/der Autor/in: Sieh her! Sieh mich an, sieh mein Leid, meinen Mut, meine Tapferkeit!

    Dazu gehört für mich auch die Kategorie der in seifigem Du-Ton geschriebenen Selbsthilfe- oder Ratgeber-Bücher. Bei denen höre ich den Ruf: »Sieh mich an! Das kannst du auch! Du musst nur ... (alles genau so machen wie ich)!« Der Abstand der/des Autor/in zum Geschriebenen stimmt nicht, ist entweder

    • zu nah, dann wird er/sie spürbar von Gefühlen überschwemmt und der Text wirkt kitschig (Beispiel? Vieles, was in Selbst- oder Zuschussverlagen erscheint.)
    • oder zu weit weg, dann wirds Pathos (Beispiel: "Als ich mich selbst zu lieben begann", ein Text, der fälschlicherweise Charlie Chaplin zugeschrieben wird, aber von Kim McMillen ist. Einen Artikel über die Neuzuschreibung der Urheberschaft habe ich hier gefunden)

    (Frage: »zu nah/zu weit weg« in welchem Bezugssystem?)

    Welche Merkmale hat so ein Text?

    • kopflastig, viel Analysen und Erklärungen, wenig Handlung
    • Gefühle werden behauptet, Empfindungen nicht gezeigt,
    • Personen bleiben blass, werden oft nicht beschrieben
    • Verallgemeinerungen
    • Verwendung von Signalwörtern, die emotional aufgeladen sind
    • die innere Distanz zum Stoff stimmt nicht:
      • Erzähler/in steckt im Stoff fest: Die »Genau so war es!«-Haltung: Das Erlebte wird nicht als Material behandelt, nicht gewalkt und geknetet, nicht damit gespielt, sondern 1:1 geschildert. Wenn der Stoff oder die Personen eine eigene Richtung nehmen, wird der nicht nachgegangen
      • bei Schilderungen wiederum ist eine Distanz zu spüren: »Ich spürte, wie ...«, »Ich sah, wie ...« statt in den »Stream of Consciousness« einzutauchen.
    • auktorialer Erzähler schimmert durch.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Samstag, 13.10.2018 in Poesietherapie, Schreiben

  • Schreibbericht Textwurm

    Noch windet er sich, der Textwurm, schillert und glänzt, manchmal hebt sich der Kopf mit den gelben Augen, manchmal die Schwanzspitze.

    Ich überblicke nicht das Ganze, nur ein wogendes, beängstigendes und unsagbar schönes Geschlinge, armdick und muskulös. Irgendwann wird der Kopf hochschnellen und ich fürchte mich davor und vor dem Blick der klugen Echsenaugen.

    (ähm)

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Mittwoch, 12.09.2018 in Poesie-Debatte, Schreiben

  • Gebacken und gebraten

    "Wer kennt das nicht? Man ist gerade frisch gebacken Eltern geworden ..."

     ... und ich bin die Hose an am ziehen, schwer mit meinem ab’m Bein. Ich weiß nicht mehr, wo ich obiges Kleinod gefunden habe. Aber ist es nicht von beispielloser Schönheit?

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Montag, 10.09.2018 in Gutes Deutsch

  • Anfängerfehler?

    Bei Bodo Kirchhoff habe ich gelesen, seitenlange Dialoge, erzählerische Faulheit sei das, ein typischer Fehler von AnfängerInnen. Uff. Schreck! Hab ich mich wieder geoutet! Ich benutze oft Dialoge. Seitenlang. Bei mir bestehen ganze Kapitel aus Dialogen. Dialoge sind mein Markenzeichen.

    Und ist nicht ein innerer Monolog im Grunde auch ein Dialog? Mit einem schweigenden Gesprächspartner? Hab ich also bei meinem aktuellen Projekt, das ich eigentlich schon fertig wähnte, Kapitel für Kapitel unter die Lupe genommen und, wo es nur ging, die Dialoge ausgeschmückt und eingebettet. Einigen hat das gutgetan. Andere hab ich nicht angerührt. Denn (Erkenntnis): Ich mag es nicht, wenn alles auserzählt ist, die LeserInnen sollen ihre Phantasie spazieren schicken. Und siehe da, dann bekomme ich ein Buch von Philip Roth in die Hand. Nur Dialoge! Nicht nur seitenweise, nein, das ganze Buch. Ist Philip Roth vielleicht ein schlechter Erzähler? Genau! Ätsch!

    Bodo Kirchhoff: Widerfahrnis

    Philip Roth: Täuschung

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Samstag, 19.05.2018 in Lesen, Schreiben

  • Stirbt die Schreibschrift? Wirklich?

    Schreibschrift als Lernschrift abschaffen oder nicht? Diese Frage habe ich in meinem letzten Uni-Seminar den Studierenden gestellt und sie nach ihren Erfahrungen mit der Schreibschrift gefragt. Die Antworten waren niederschmetternd.

    Abschaffen, war die überwiegende Meinung. Allenfalls als Kalligrafie im Kunstunterricht sollte man sie unterrichten. Die Kinder müssten so viel lernen heutzutage. Beim Schreibunterricht könne man sie entlasten, hieß es. Hm.

    Ich persönlich finde, dass gerade das Schreiben entlastet, wenn es nicht als Werkzeug, sondern als Instrument verstanden und benutzt werden darf. Das gebe ich auch weiter in meinen Seminaren und zeige, wie das funktionieren kann. Jedenfalls war das wie Zahnschmerzen, ich habe mich gewunden und gedreht. Keine Schreibschrift mehr! Oijoijoijoi! Gewalt geschrien! Weltuntergang! Wer wird meine Briefe und Tagebücher (nein, die nicht), lesen und auswerten, wenn ich einst tot und berühmt bin? Ist der Tod der Schreibschrift aufzuhalten? Und bin ich jetzt - Äks! - eine Kulturpessimistin?

    Die Rolle der Trägermedien

    Zum Glück meißeln wir unsere Worte nicht mehr in Stein, jedenfalls nicht oft. Und wer würde noch mit Tinte aus Ruß und Eiweiß auf Tierhäute schreiben und die Illustrationen mit dem Sekret zerquetschter Purpurschnecken, zermahlenen Lapislazuli oder Schwefel colorieren? Die Geschichte des Schreibens ist mit den Trägermedien, dem Werkzeug und dem Material verbunden. Schnelligkeit setzt sich durch, Verfügbarkeit von Werkstoffen, gesellschaftliche Strömungen, die die neuen Medien benutzen wie bei der Reformation geschehen.

    Und ich bin skeptisch. Okay, Schnelligkeit, Weiterverarbeiten auf verschiedenen Kanälen, Verbreitung, okayokayokay. Aber: Die Werkstoffe, aus denen die neuen Medien bestehen, sind nicht unbegrenzt frei verfügbar. Die Dinger sind nicht haltbar; ein gut gemachtes Buch hält länger. Wer weiß, ob man die Daten der Trägermedien in zehn, ach, in fünf Jahren noch auslesen kann. Vermutlich nicht. (Ich sage nur: Disketten! Ja! Genau!)

    Gänsefeder, Metallfeder mit Tintenfass zum Eintunken, mit Tank oder mit Mine, Schreibmaschine, Computer, Spracheingabe: Bei jeder neuen Technologie hat sich das Schreiben als Kulturtechnik und sein Stellenwert in der Gesellschaft verändert. Wird wieder mehr mit der Hand geschrieben, und zwar Schreibschrift, seit man Smartphones und tablets wie Notizblöcke verwenden und per App das Handgeschriebene in Druckschrift übertragen kann?

    Ist die Schule schuld?

    Wir haben Siri, Microsoft Dictat und Dragon, die Gesprochenes in Schrift umwandeln. Aber wir haben auch Instrumente, um der Schreibfaulheit entgegenzusteuern. Den Schreibunterricht zum Beispiel. Das Schreiben zu erlernen, ist so aufwendig wie Autofahren. Das braucht viel Übung, nein, es gibt keine Abkürzung. Bei uns, sprich Schule im Osten, war zuerst die Schreibschrift dran und dann die Druckschrift. Wir mussten seitenweise Bögen malen, die alle gleich aussehen sollten, Zacken, Kringel, die Buchstabenverbindungen.

    Ich fand das nicht schlimm, habe das als Oase im Lernstress empfunden. Als würde ich Mandalas malen. Seit einigen Jahren (oder im Westen? Seit 68?) hat das Üben einen schlechten Ruf. Man setzt im Schreibunterricht die Priorität anders, lehrt erst Druckbuchstaben, dann Schreibschrift. Seit wann das so ist, konnte ich nicht rausbekommen, ich glaube jedoch, hier liegt die Ursache für das Siechtum der Verbundschrift. Zwei Schriftarten zu lernen, überfordert die Lese- und Schreibneugier der Kinder. Eine Frage der Ökonomie: Warum sollten sie eine zweite Schrift lernen? Die erste reicht doch völlig!

    Sind wir nicht alle ein bisschen Druckschrift?

    Was ich öfter in meinen Kursen beobachte, nach meinem Eindruck überwiegend bei Leuten, die in der alten BR schreiben gelernt haben: Die Leute tippen mit Computer/ tablet, weil sie – eigene Aussagen – ihre (Hand-)Schrift nicht lesen könnten. Zudem schreiben einige auch mit der Hand eine Art Druckschrift, allenfalls einzelne Buchstaben seien verbunden, ohne dass sie deshalb langsamer schreiben würden, so die Studierenden.

    Hey. So schreibe ich auch. Nie ein Wort in einem Zug. Ich setze neu an, lasse Lücken, immer. Einige Buchstaben stehen bei mir als Solitäre, einige sind nach rechts verbunden, aber nie nach links. Ganz sicher sind wir alle ein bisschen Druckschrift. Auch die Zugewanderten lernen zuerst die Druckschrift, die Schreibschrift eignet sich fast keine/r an. Dazu noch die Rechtsseitigkeit derjenigen, die aus dem arabischen Schriftraum kommen. Mit der lateinischen Schrift wird sie quasi umerzogen, aber unterschwellig bleibt sie.

    Die arabisch Literarisierten schreiben oft die lateinischen Buchstaben auch von rechts nach links wie arabische Zeichen, meist mit vielen Schleifen und Kringeln, da hilft kein Training. Was das wohl für Auswirkungen auf die lateinische Verbundschrift haben wird? Aussterben wird sie nicht, jedenfalls nicht sofort. Aber sie wird elitär, vermute ich. Wie sehr, ist von vielen Ursachen abhängig.

    An einigen Schrauben könnte man drehen. Das muss die Gesellschaft wollen, sprich, es einfordern. Pauschal über den Untergang erst der Handschrift, dann des Schreibens und schließlich des Abendlandes zu lamentieren, nützt nix.

    Literaturempfehlungen: Ute Andresen (Schreibpädagogin)

    Daniel Pennac: Wie ein Roman

    Zur Geschichte der Schreibschriften,

    der deutschen Kurrentschrift: kurzer Überblick

    Sandro Zanetti: Schreiben als Kulturtechnik

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Freitag, 01.12.2017 in Schreiben

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