Poesieblog

  • Von Netflix, Bestseller-Algorithmen und Triggerwarnungen in Goethes Faust

    Krieg, Klimakatastrophe, Energiekrise, Inflation, Migrationen: Unsere Welt gerät aus den Fugen. Wie wirkt sich das aufs Lesen und auf die Literatur aus? Welche technischen Entwicklungen befördern welche Prozesse? Welche gesellschaftlichen Bedingungen bestehen, welche Voraussetzungen haben sich geändert und überhaupt: Brauchen wir Literatur? Und wenn ja – wofür? Der Thüringer Literaturrat fragte auf seinem 4. Fachtag nach Veränderungen in der Literatur

    Dass Literatur essentiell nötig ist, darin waren sich die Besucher des vierten Fachtages Literatur einig, zu dem der Thüringer Literaturrat am 7. Oktober ins Erfurter Kultur: Haus Dacheröden geladen hatte. Das Thema »Welt im Wandel – Literatur im Wandel« hatte vor allem Menschen angelockt, die von Berufs wegen mit Büchern und dem Schreiben zu tun haben, aber auch Literatur-Interessierte und solche, die verfolgen, wie sich der gesellschaftliche Umbruch, in dem wir stecken, auf Sprache und Schreiben auswirkt. Mit dem Untertitel »Lesen – Kritik – Maßstäbe«, stand fest, um welche Aspekte das komplexe Thema kreisen würde. Das Programm versprach mit drei Vorträgen und einer Podiumsdiskussion viel Information und Stoff für kontroverse Debatten.

    Nach Bernhard Fischer, dem Vorsitzenden des Thüringer Literaturrates, begrüßte Elke Harjes-Ecker, Abteilungsleiterin Kultur in der Thüringer Staatskanzlei, der Schirmherrin des Fachtages, die Anwesenden. Im ersten Vortrag des Tages erläuterte anschließend der Leseforscher Axel Kuhn vom Institut für Buchwissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, wie sich das Lesen im digitalen Zeitalter geändert hat. Ist es »standardisierte Praxis oder individueller Lebensstil?«, fragte er und konstatierte seit 1990 einen grundlegenden Wandel des Leseverhaltens.

    Das Lesen, es verändert sich

    Zwar bleibt das Lesen weiterhin die Basiskompetenz, die es ermöglicht, an sozialen Prozessen teilzunehmen. Doch welche Form des Lesens? Funktionales oder literarisch-intellektuelles Lesen? Die bürgerliche Vorstellung einer einheitlichen Lesekultur werde zunehmend obsolet, berichtete Kuhn. So werde das »lineare Lesen« von Druckerzeugnissen von vielen Digital Natives als zu langsam empfunden.

    Einerseits machen digitale Medien eine Vielfalt von Texten zugänglich. Andererseits werden die digitalen Spuren aus den Lesemedien intensiv ausgewertet und das prägt den Markt. Reader Analytics heißt es, wenn das Kauf-, Nutzungs- und Rezeptionsverhalten dokumentiert und analysiert wird: Wie viele Leser haben den Text fertig gelesen? Wie schnell haben sie gelesen? Haben sie Empfehlungen gegeben? Welche Markierungen haben sie gesetzt? Verlage prüfen eingehende Manuskripte, ob sie den daraus erstellten Algorithmen entsprechen und fertigen Bücher nach Bauplan für den idealen Durchschnittsleser.

    Irrationales wie Brüche und Abweichungen, die Texte erst spannend machen, werden so nicht erfasst. Folge: eine Homogenisierung, die bis ins Selfpublishing zu spüren sei. So stehen den gewachsenen individualistischen Lesepraktiken Eingriffe in die kreative Freiheit des Schreibens gegenüber – und das, obwohl bislang noch kein Algorithmus einen Bestseller vorhergesagt hat.

    Unterm Aufmerksamkeitsradar der Feuilletons

    Doch wer »macht« die Bestseller? Daran knüpfte der nächste Vortrag an. »Was darf Literaturkritik, was kann Literaturkritik?«, fragte Bettina Baltschev vom Sächsischen Literaturrat. Jedenfalls könne sie keine große Literatur schaffen, so die MDR-Literaturredakteurin und -kritikerin. Aber mindere erkennen und verhindern, dass sie sich als große etabliert. So viel zur Theorie, dachte mancher Autor im Publikum, den die regionalen Medien routinemäßig ignorieren. Doch wie schafft es ein Buch in den Aufmerksamkeitsradar der Feuilletons?

    Genau da sieht Bettina Baltschev die Literaturkritik in der Verantwortung: Sie müsse Sperriges platzieren. Texte genau betrachten. Selbstlos und unabhängig eigene Auswahlkriterien festlegen, sich zum Beispiel auf regionale Autoren oder unabhängige Verlage konzentrieren. Sich den Marktmechanismen entgegenstellen und nicht lediglich Werbeformat für Bücher sein.

    Nicht alle Literaturkritiker können sich ein solches Engagement leisten. Vor allem auf freien Journalisten lastet existentieller Anpassungsdruck: Nicht leicht, sich dem allgemeinen Wohlfühltrend entgegenzustellen oder sich nicht als Wadenbeißer, der aus Prinzip zuschnappt, zu gerieren. Ohnehin ist die Wirkmacht der Literaturkritik überschaubar. Das Internet macht den klassischen »Gate Keepern« Konkurrenz. Der Einfluss der Buchblogger auf den Buchmarkt ist immens gewachsen, und mit der Professionalität büßt die Kritik ihre literarische Expertise und Sprachkunst ein. Baltschevs Resümee klang ernüchtert: »Wir müssen aufpassen, dass die Literaturkritik als Gattung nicht völlig wegrutscht.«

    Stabiler Umsatz, weniger Leser

    Wie aber findet ein Buch seine Leser? Immer schwerer, so die Antwort von Thorsten Ahrend, Leiter des Literaturhauses Leipzig und Programmleiter Belletristik beim Wallstein Verlag. »Wozu Verlage? – Dienstleister – Vertriebsmaschine – Kulturinstitution?«, lautete der Titel seines Vortrages. Verlagsprogramme zweimal jährlich, Pressearbeit und Marketing, Präsenz und Beilagen zu den Buchmessen: Die klassischen Methoden, mit denen die Verlage bis vor wenigen Jahren ihre Bücher sichtbar machten, laufen heute oft ins Leere.

    71.640 Neuerscheinungen im Jahr 2021, davon 63.992 Erstauflagen – das klingt viel. Doch seit 2013 geht die Produktion der Titel stetig zurück, so der Börsenverein des deutschen Buchhandels. Zwar blieb der Umsatz in der Buchbranche in den letzten 15 Jahren stabil – doch die Zahl der Leser schmilzt. Die Leute gucken lieber Netflix-Serien. Durch die tägliche Reizüberflutung und veränderte Gewohnheiten der Mediennutzung sei Bücherlesen in vielen Freizeitsituationen keine oder nur eine Option unter vielen, hat der Börsenverein in einer Studie herausgefunden.

    Klar ist: Mit Belletristik oder Lyrik werden heutzutage weder die Verlage noch die Autoren reich – die Ausnahmen kann man an wenigen Händen abzählen. Zwar liegt der Anteil der Belletristik am Gesamtumsatz der Buchbranche mit 31,9 Prozent immer noch relativ hoch, dazu kommen noch einmal 18,8 Prozent für Kinder- und Jugendliteratur. Die anderen verkauften 49,30 Prozent setzen sich aus Sachtiteln zusammen: Ratgeber, Reise- und Sachbücher, Schulbücher und geistes-, natur- und sozialwissenschaftliche Texte.

    Auch kleine Verlage müssen Gewinn machen. Als Firmen, die Markenartikel vertreiben, erreichen sie ihre Leser mit Push-Marketing, das heißt, ihre Produkte müssen sie in das Bewusstsein der Kunden regelrecht »hineindrücken«, erläuterte Ahrend. Anders als Hersteller anderer Markenartikel halten sie die Preise niedrig, obwohl sie nur in kleiner Serie produzieren. Zudem existiert ein grauer Markt, denn ein gelesenes Buch kann mehrfach wiederverkauft werden.

    Keine Bücher zu lesen, wird immer gesellschaftsfähiger. Sie verschwinden aus dem öffentlichen Diskurs und dem persönlichen Umfeld der Menschen, hat der Börsenverein in einer Umfrage festgestellt. Bücher bilden kein Gesprächsthema mehr, die Bekanntheit von Autoren lässt nach. Das Angebot der Buchläden erschöpft und überfordert die potentiellen Leser. Im Buchhandel finden sie keine Orientierung. Also greifen sie zur Fernbedienung und konsumieren Serien statt Lektüre. Das wiederum wirkt sich auf die Verlage aus. Immer schwerer wird es für Autoren, einen zu finden, der ganz klassisch Mittel für die Produktion eines Buches »vor«-legt.

    Kurzer Prozess und eine lange Mängelliste

    In den letzten Jahren haben wir viele neue Schlagwörter gelernt: Gender und Diversität, Wokeness, Identitätspolitik, Cancel Culture, alte weiße Männer, #metoo. Gleichzeitig mussten wir viele Wörter verlernen, was bei manchen zu Unsicherheiten und permanenten Vergewisserungen führt: Darf man das so noch sagen? Genau darum kreiste nach der Mittagspause eine Podiumsdiskussion, die Bettina Baltschev moderierte. Unter der Überschrift »Was darf gesagt werden und was darf nicht gesagt werden?«, diskutierten Kerstin Hensel, Bettina Kasten, Thorsten Ahrend und Jens-Fietje Dwars über eine Generation, die neue Prioritäten setzt – mit neuer Sprache und einer neuen Vorstellung, was Kunst soll und darf.

    Auf positive Folgen des neuen Zeitgeistes wies Bettina Kasten hin, die das Partner- und Projektmanagement im ARD Kultur Team leitet. »Spannend, was die Debatten ausgelöst haben.« Dem lässt sich nicht widersprechen. Wir sind dünnhäutiger im Hinblick auf Sexismus und Diskriminierung und sensibler für die Belange von Minderheiten geworden. »Man darf auch nicht vergessen: Immerhin können wir heute alles sagen«, ergänzte Jens-Fietje Dwars, Herausgeber, Literaturkritiker und Chefredakteur der Zeitschrift »Palmbaum«. »Das war nicht immer so.« Und dass die Demokratie eigentlich empfindlich auf eine undemokratische »Sprachpolizei« reagieren müsse.

    Warum sie es nicht oder nur zögerlich tut? Kerstin Hensel schilderte ein Generationenproblem, das sie als bei ihrer Arbeit als Professorin an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« erlebt. Temperamentvoll startete die Dichterin, die »Deutsche Verssprache und Versgeschichte« unterrichtet, mit einer umfangreichen »Mängelliste« und fasste zusammen, wie innerhalb weniger Jahre der Zeitgeist ihre Arbeit verändert hat, wobei auch ihre Kollegen an anderen Universitäten und Fakultäten sowie an Schulen Ähnliches erlebten: katastrophale literarische Kenntnisse bei den Studenten – bis auf wenige Ausnahmen. Keine Bereitschaft, Autoren in ihren historischen Kontexten zu verorten. Kein Verständnis für Ironie.

    Kurzer Prozess statt Neugier und Offenheit. Da würden kurzerhand Worte in Stücken und Gedichten ausgetauscht und die Komplexität der poetischen Sprache reduziert. Den historischen Texten würde kulturelle Aneignung vorgeworfen, und verlangt, konfliktreiche Stellen wie die Gretchen-Szene im Faust mit Triggerwarnungen zu versehen, um sich problematischen Erfahrungen anderer zu entziehen, statt sich mit ihnen auseinanderzusetzen. »Ich warne davor, sich mit Literatur zu beschäftigen, die keine Triggerwarnung braucht«, warf Thorsten Ahrend ein. »Wenn ein Autor überlegt, was er sagen darf, hat er schon verloren.«

    Dabei gehört das Einfühlen in fremde, vielleicht schmerzhafte Erlebnisse und das Sich-Aneignen anderer Lebenswelten essentiell zur Kunst, darin waren sich Podium und Publikum einig. »Das ist eine Totalverkennung des Genres Kunst«, schimpfte Kerstin Hensel im Hinblick auf aktuelle Debatten zur »kulturellen Aneignung«. »Da kann man’s auch ganz lassen!«

    Keine Wohlfühldiskussion, auch wenn sich alle mehr oder weniger einig waren. Einziges Manko: Man sprach über, nicht mit der heranwachsenden Generation. Obwohl der Fachtag für alle offen war, saßen im Publikum überwiegend Ältere. Die meisten von ihnen lehnten die aktuellen Debatten nicht grundsätzlich ab. Doch deutlich wurde: Wer mit Sprache und Schrift umgeht, hat die Verantwortung, sich mit undemokratischen Tendenzen auseinanderzusetzen, so dass ein Korrektiv entsteht und Moderne und Tradition sich gegenseitig befruchten können. Und so brachte der Fachtag vor allem Antworten auf überraschende Fragen und viele Einsichten. Manche setzten sich als Häkchen fest und werden vielleicht schreibend gelöst.

    Mehr Infos, Podcasts und Filme zum Fachtag auf der Seite des Thüringer Literaturrates.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Mittwoch, 07.12.2022

  • Literatur vs. Identitätspolitik

    Endlich melden sich Menschen zu Wort, die professionell mit Sprache umgehen. "Es hat sich eine verhängnisvolle Art Auffassung von menschlicher Kreativität herausgebildet", beklagt der amerikanische Schriftsteller Ayad Akhtar in seiner Rede vorm PEN Berlin

    "Mit der Stimme eines anderen als man selbst sprechen – ist aber nicht genau das die Basis jenes magischen Akts empathischer Erweiterung, der die Literatur definiert?" Unbedingt lesen! Ayad Akhtar, Präsident des PEN Amerika, warnt vorm PEN Berlin vor den Folgen von Identitätspolitik und kultureller Aneigung. Die Rede steht in der FAZ.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Mittwoch, 07.12.2022

  • Weihnachtsgeschenk für die Klassik-Stiftung

    Für ihr Themenjahr 2023 bekommt die Klassik-Stiftung Lottomittel. Über die Höhe hat man Stillschweigen vereinbart. Was ist mit den Mitteln für kleinere Kulturprojekte: Bekommen die jetzt weniger ab vom Förderkuchen?

    »Klassik-Stiftung im Lotterie-Glück« lese ich heute in der TA/TLZ. Für das Themenjahr 2023 werde Lotto Thüringen als Sponsor einsteigen, über die Höhe dieses »vorzeitgen Weihnachtsgeschenkes« (Ulrike Lorenz, Präsidentin der Klassik-Stiftung) haben die Beteiligten Stillschweigen vereinbart.

    Jochen Staschewski, als ehemaliger SPD-Staatssekretär von der Politik auf den lukrativen Posten des Geschäftsführers von »Lotto Thüringen« gefallen, hat anscheinend noch einen guten Draht zu den großen Playern der Kulturbranche. Doch was ist mit den Lotto-Geldern für die kleineren Kulturprojekte: Werden die jetzt entsprechend reduziert? Dazu hätte ich mir mehr Angaben und eine kritische Nachfrage gewünscht, liebe Autorin. Jährlich würden 500 Millionen Euro Lotto-Mittel ins Land fließen. Diese Summe werde jetzt geringer, heißt es in dem Artikel lapidar. Nur bei der Sportförderung gebe es keine Abstriche.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Freitag, 25.11.2022

  • Winnetou muss sterben!

    Ehrlich gesagt verstehe ich die ganze Aufregung nicht. Karl May wird verboten! Uns’ Winnetou! Dabei handelt es sich mitnichten um einen Originalklassiker, sondern um ein Prequel, also eine Vorgeschichte, die sich jemand ausgedacht hat, der nicht Karl May heißt, sondern Thilo Petry-Lassak und ausschließlich Kinderbücher schreibt.

    Der Verlag hat ein Kinderbuch zurückgezogen (ab acht Jahren), ein Erstleserbuch, ein Puzzle sowie ein Stickerbuch, die als Gimmicks zum gleichnamigen Film gedacht waren, der übrigens außer den Namen der Protagonisten auch wenig bis nichts mit Karl May zu tun hat. Das Drehbuch zum Film stammt von Regisseur Mike Marzuk und Gesa Scheibner und es basiert auf dem Musical "Kleiner Häuptling Winnetou" (Text: Karl-Heinz March). Hört sich für mich nicht gerade nach einem Ausbund an Hochkultur und Differenziertheit an.

    Und nun frage ich mich: Und wenn das Buch einfach doof ist - warum soll der Verlag es nicht zurückziehen? Und zweitens: Die Märchen von Prinzessinnen und Prinzen geben auch nicht gerade ein authentisches Bild der Feudalgesellschaft wieder, sondern verletzten die Gefühle der seinerzeit unterdrückten Bevölkerung, der Bauern, der Mägde und Knechte. Das muss man anprangern! Das muss man brandmarken! Also liebe Kinder, stellt euch schonmal drauf ein: Ab sofort gibts keine Märchen mehr! Und der kleine Muck und Scherezade sind auch gestrichen!

    Im May

    Stell auf den Tisch, nicht um sie zu verhökern
    die Schätze unsrer Jugendbücherei,
    nein! lass uns einmal wieder selig schmökern
    wie einst! Im May!

    Der »Bärentöter« knallt, die wack’re Büchse,
    dumpf tönt es: Hugh, ein unterdrückter Schrei.
    Das Edle siegt, die Bösen kriegen Wichse,
    wie einst! Im May!

    Man liest und liest, bis man total verdöste,
    der Morgen graut. Man liest und seufzt dabei:
    Ach! Wenn sich alles doch so glücklich löste
    wie einst! Im May!

    (Walther Deneke)

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Dienstag, 30.08.2022

  • Wokeness bis zur Selbstauflösung

    Das Gefühl wird zum Maßstab des Handelns und niemand soll verletzt werden. Eine zutiefst infantile Haltung, meint Benedict Neff in der NZZ.

    Gefühle kann man nicht anfechten. Das macht einen unangreifbar. Allerdings: In letzter Konsequenz führt der Drang, niemanden verletzten zu wollen, in die Selbstauflösung. Denn Konflikte und Auseinandersetzungen gehören zum Leben dazu. Nur wer sich nicht regt, wer keinen eigenen Standpunkt einnimmt und verteidigt, wer windelweich immerzu einlenkt, wird niemanden verletzen. Insofern handelt es sich bei der cancel culture um eine zutiefst infantile Bewegung, so Neff. 

    Sehr lesenswerter Artikel in der NZZ, der sich kritisch mit Wokeness auseinandersetzt. Früher nannten wir das übrigens: Betroffenheit". Wir sagten: "Das macht mich jetzt echt betroffen."

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Montag, 29.08.2022

  • So kommt Vielfalt in Kunst und Kultur!

    Weniger ist mehr. Statt Diversität zu fördern, wird sie durch Überregulierung behindert.

    Was braucht es, um im Kulturbetrieb mehr Diversität herzustellen? Mehr Geld, weniger Vorschriften und bürokratische Hürden, Auswahlprozesse ohne Ansehen der Person, offene Themen und die Abkehr vom ständigen Rechtfertigungsdruck, welchen Nutzen die Kultur für Politik, Demokratie, Gesundheit und die ganze Welt habe. So lauten die Thesen, die der Schriftsteller Alexander Estis in diesem sehr lesenswerten Essay ausbreitet und die das nd dankenswerterweise veröffentlicht.

    Nachtrag: Auch hier nachzulesen: Vielheitsplan Kultur rein praktisch, Publikation des Integrationshauses Köln

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Freitag, 26.08.2022 in Politisches

  • Linguistik vs. Gendern

    Offener Brief von Sprachwissenschaftlern, Übersetzern, Philologen u.ä. gegen den Glottisschlag im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk (ÖRR).

    Im Juli 2022 haben bekannte und weniger bekannte Leute, die von Berufs wegen mit Sprache zu tun haben oder sich dazu berufen fühlen, sich gegen das Gendern im ÖRR ausgesprochen. Illustre Namen kommen zusammen, einige kenne ich noch aus meiner Studienzeit: Manfred Bierwisch, Gisela Zifonun und der ewige Querulant Peter Eisenberg. Auch Christoph Dieckmann, den ich sehr schätze, hat unterschrieben. Mich freut, dass die Linguistik endlich aus ihrem Elfenbeinturm kriecht. In meiner Studienzeit in den Neunzigern war das noch verpönt. Damals war Noam Chomsky der einzige Sprachwissenschaftler, der sich öffentlich zu aktuellen politischen Themen äußerte.

    Hier ist der Wortlaut des Offenen Briefes.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Donnerstag, 18.08.2022 in Gender, Gutes Deutsch

  • Endlich hat es jemand getan: In einer Studie haben sich die Sprachwissenschaftler Ewa Trutkowski und Helmut Weiß mit dem Genus in der Sprachgeschichte und dem sogenannten generischen Maskulinum beschäftigt. Da freut sich die historische Sprachwissenschaftlerin!

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Montag, 06.06.2022

  • Tradition, Disruption, Endstation

    Das Dilemma der Klassik Stiftung Weimar: Sie muss sich mit alten Männern wie Goethe, Schiller und Wieland immer wieder neu erfinden

    Wie stark unser Kulturbegriff einem Wandel unterworfen ist, wurde deutlich, als die Klassik Stiftung Weimar kürzlich ihr Themenjahr »Sprache« eröffnete. Zum Auftakt fragte eine Podiumsdiskussion: Welche Bedeutung kann oder soll die Beschäftigung mit überlieferten Texten haben? Welche Aufgaben haben Gedächtnisinstitutionen wie die Klassik Stiftung Weimar heute? Spannende Fragen, denen sich neben Ulrike Lorenz, Präsidentin der Klassik Stiftung, der Literaturwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma stellte sowie Petra Lutz, die als Projektleiterin für die Weimarer Dichterhäuser zuständig ist. Die Runde moderierte Marcel Lepper, der zwei Jahre für die Klassik-Stiftung das Goethe- und Schiller-Archiv leitete und kürzlich zur Carl Friedrich von Siemens Stiftung gewechselt ist.

    Reemtsma ist vor allem für Christoph Martin Wieland zuständig, denn auch der Wegbereiter der deutschen Klassik wird gefeiert. Fast gewinnt man den Eindruck: weil man es musste. Um den zierlichen Dichter, der vor 250 Jahren als Fürstenerzieher an den Hof kam, den Moralisten und Aufklärer, den Philosophen und vielseitigen Dichter, kam die Stiftung nicht herum. Genau so wird er präsentiert: Als vergessener Klassiker, der der Wiederentdeckung bedürfe. Und den man »als Dichter und Revolutionär«, so die Webseite der Stiftung, wie das gesamte Themenjahr vor allem der Generation U 18 ans Herz legen wolle.

    Als auf dem Podium Petra Lutz erläuterte, wie man die Dichterhäuser so gestalten wolle, dass sie auch Zielgruppe U 18 erreichen, verdrehten die Bildungsbürger im Publikum die Augen. Schließlich wurden ihnen, als sie heranwuchsen, ganz selbstverständlich die Märchen der Gebrüder Grimm in der Originalsprache zugemutet. Ein Schatz, in dem sie kramten und wühlten wie in der Knopfschachtel der Großmutter und immer neue funkelnde Wörter und Redewendungen entdeckten. Vielleicht kannten sie nicht alle, aber sie verstanden, dass Wörter eine Geschichte haben, dass sie nicht gut oder böse sein können – sondern nur die, die sie benutzen.

    Wo sind die U-18-jährigen Lesesüchtigen, die in Werken der deutschen Klassik nach Spuren von Anti-Haltung gegen Autoritäten stöberten, um sich ihrer eigenen zu vergewissern, weil (zumindest im Osten) gute Gegenwartsliteratur schwer zu ergattern war? Die den Sprachwitz bei Wieland, bei Musäus, bei Tieck entdeckten und ihren eigenen daran schärften? Die sich Offenheit und Internationalismus bei Herder abschauten, die gegen Widerstände kämpften wie Carl-Philipp Moritz, jugendliches Pathos bei Novalis fanden, auch er ein Stiefkind der Aufmerksamkeits-Ökonomie, den ein Jahrestag für kurze Zeit nach oben gespült hat.

    Trefflich hätte man darüber parlieren können, darüber, wie man den Medienwechsel gestalten muss, der unser Wissen neu sortiert und ob und wie mundgerecht man die Klassik, die inzwischen häufig mit dem Wort »verstaubt« attribuiert wird, für die Generation social media aufbereiten muss. Lernen sei immer eine Zumutung und Überforderung, mahnte Reemtsma. Und wenn die erläuternden Texte in den Museen nicht verstanden würden, müsse man sie länger machen, nicht kürzer.

    Das Gespräch, das auf den ersten Blick harmonisch verlief, hinterlässt im Nachgang einen bitteren Geschmack. Kein wohliges Sich-Sonnen im Bildungsbürger-Wohlfühl-Land. Einstellungen kamen zur Sprache, die ein Licht auf den Kulturbetrieb im Allgemeinen, in Thüringen und in Weimar werfen und den Druck deutlich machen, dem er unterworfen ist. Vor allem in den Ausführungen der Stiftungs-Chefin.

    Lorenz sprach von »toxischer Wachstumslogik im Kultursektor«, die man »kritischer sehen muss«, denn »Wachstum führt zu Versteinerungen«. »Wir müssen produktiv zerstören, um etwas anderes möglich zu machen«, forderte sie, Abschied nehmen »von liebgewordenen Gewohnheiten«. Denn die Rahmenbedingungen würden kein Wachstum mehr gestatten. Deshalb müsse man das kulturelle Erbe miteinander in ein sinnvolles Spiel bringen, das auch disruptiv sein könne. Die Gesellschaft wandele sich, »wir müssen uns partiell immer wieder neu erfinden«, ein Prozess, ein Experiment, auch »im Hinblick auf eine Umformulierung der Dichterhäuser«.

    Wachstum gleich toxisch. Produktiv zerstören. Disruption. Sich immer wieder neu erfinden. Lorenz greift Argumente aus der Degrowth-Bewegung auf und spart nicht an Signalwörtern. Doch kann man die Situation in Wirtschaft und Ökologie eins zu eins auf den Kulturbetrieb übertragen? Schwach nur klang die Mahnung Reemtsmas: »Wir müssen die Literatur frei machen von Aktualitätsdruck. Sonst werden wir wie die Kanzelredner des 18. und 19. Jahrhunderts.«

    In solchen Kontexten hört sich das literarische Vermächtnis der Stadt Weimar beinah wie eine Last an: Goethe. Schiller. Wieland. Herder. Jeder Name ein Schlag mit der Faust in die offene Hand. Der Zwang, Altes immer wieder neu zu präsentieren, kollidiert mit dem Anspruch, alles neu zu erfinden, weil man sich von der verstaubten Literaturwissenschaft verabschieden will. Authentizität heißt der Königsweg jetzt, mit Anklängen an die teilnehmende Beobachtung. Warum nicht. Aber: Muss man dazu wirklich alles zerschlagen?

    Jede Generation will die alten Zöpfe abschneiden. Das ist notwendig, es setzt einen Kreislauf der Erneuerung in Gang und krempelt nicht nur die Institutionen um, sondern wirft relevante Fragen auf, verschiebt die Prioritäten der politischen Agenda und verändert das Miteinander und die Kommunikation bis ins zutiefst Private. In diesem Prozess wird auch das Wissen, das zur Verfügung steht, ebenso neu bewertet wie die Art seiner Vermittlung. Idealerweise geht dieser Wandel nicht von den Institutionen aus, sondern der Druck kommt von außen, von unten.

    Was aber, wenn nicht die Kinder rebellieren, sondern die Eltern?

    So etwas passiert, wenn Eltern nicht erwachsen werden. Die Kinder sind für die Erneuerung zuständig, die Älteren fürs Bewahren. Beides muss ausgewogen miteinander agieren. Seit einiger Zeit jedoch erleben wir eine Abwertung von Erfahrung. Die Alten fliegen (wie die Ostdeutschen) unter dem Radar der woke-Bewegung. Dass diese Bevölkerungsgruppen diskriminiert werden, merkt man spätestens, wenn man sich mit Mitte Fünfzig einen neuen Job suchen muss. Auch bei den Jungen bindet der Zwang, sich ständig neu zu erfinden, Kraft und Ressourcen und höhlt den privaten Raum aus, in dem man sich erholen muss.

    Dazu gesellt sich ein grundlegendes Misstrauen gegen Spezialisten. In unserer hochspezialisierten Gesellschaft ist Wissen ein Kapital, es zu erwerben dauert lange und kostet viel Geld. Niemand kann alles können, doch mancher scheint das zu glauben. Ein Buch schreiben und es layouten, die Gesetze der Sprache auf den Kopf stellen: Das Laientum schwappt vor allem in die Sektoren, die nicht so stark reglementiert sind, wo Kreativität und Spiel ein Refugium haben: in die Kunst. Es präsentiert sich voller Selbstbewusstsein, überschreit die Profis, die zweifeln und mehr Zeit fordern.

    Dieser zutiefst demokratische Vorgang ähnelt dem, was die Stadtsoziologie »Gentrifizierung« nennt. Freiräume, in diesem Fall Kunst und Kultur, werden in eine Verwertungslogik eingebunden. Wie stark die Gesellschaft in ihren Randbereichen bereits auf Nutzen und Effektivität fixiert ist, zeigte sich in der Pandemie-Zeit: Die Kultur wurde zuerst dichtgemacht und zuletzt wieder geöffnet. Dabei ist die Kunst wie ein Unbewusstes der Gesellschaft eine wichtige Ressource für Resilienz. Sie hilft, Angst zu bewältigen und mit Veränderungen umzugehen. Gnade uns Gott, wenn dieser Sumpf von Wildwuchs und Anarchie trockengelegt wird.

    Lorenz teilte aus gegen das Bildungsbürgertum, das sein Halbwissen aus dem »Zitatenschatz der Weltliteratur« des Oberlehrers Georg Büchmann geschöpft habe, und vergaß dabei, dass die permanente Anpassung ans Mittelmaß genau dieses Halbwissen erzeugt. Zerreißen nicht disruptive Ansätze die Traditionslinien, an denen wir uns grundlegend in der Welt verorten, auch und gerade in der Auseinandersetzung mit ihnen? »Wir sind nicht Goethe. Wir sind die Eckermänner dieser Welt«, so Lorenz, und die Bildungsbürger schüttelten sacht den Kopf. »Ich schon«, flüsterte einer. »Ich bin Goethe.«

    (Erschienen im nd, 20. Mai 2022)

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Samstag, 21.05.2022

  • Wort-Laut

    Zum Nachlesen: beide Offenen Briefe.

    Damit sich jede/r selbst ein Bild machen kann: hier die Wortlaute von Brief I, der sich GEGEN Waffenlieferungen ausspricht (veröffentlicht in der Emma)

    Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

    wir begrüßen, dass Sie bisher so genau die Risiken bedacht hatten: das Risiko der Ausbreitung des Krieges innerhalb der Ukraine; das Risiko einer Ausweitung auf ganz Europa; ja, das Risiko eines 3. Weltkrieges. Wir hoffen darum, dass Sie sich auf Ihre ursprüngliche Position besinnen und nicht, weder direkt noch indirekt, weitere schwere Waffen an die Ukraine liefern. Wir bitten Sie im Gegenteil dringlich, alles dazu beizutragen, dass es so schnell wie möglich zu einem Waffenstillstand kommen kann; zu einem Kompromiss, den beide Seiten akzeptieren können.

    Wir teilen das Urteil über die russische Aggression als Bruch der Grundnorm des Völkerrechts. Wir teilen auch die Überzeugung, dass es eine prinzipielle politisch-moralische Pflicht gibt, vor aggressiver Gewalt nicht ohne Gegenwehr zurückzuweichen. Doch alles, was sich daraus ableiten lässt, hat Grenzen in anderen Geboten der politischen Ethik.

    Zwei solche Grenzlinien sind nach unserer Überzeugung jetzt erreicht: Erstens das kategorische Verbot, ein manifestes Risiko der Eskalation dieses Krieges zu einem atomaren Konflikt in Kauf zu nehmen. Die Lieferung großer Mengen schwerer Waffen allerdings könnte Deutschland selbst zur Kriegspartei machen. Und ein russischer Gegenschlag könnte so dann den Beistandsfall nach dem NATO-Vertrag und damit die unmittelbare Gefahr eines Weltkriegs auslösen. Die zweite Grenzlinie ist das Maß an Zerstörung und menschlichem Leid unter der ukrainischen Zivilbevölkerung. Selbst der berechtigte Widerstand gegen einen Aggressor steht dazu irgendwann in einem unerträglichen Missverhältnis.

    Wir warnen vor einem zweifachen Irrtum: Zum einen, dass die Verantwortung für die Gefahr einer Eskalation zum atomaren Konflikt allein den ursprünglichen Aggressor angehe und nicht auch diejenigen, die ihm sehenden Auges ein Motiv zu einem gegebenenfalls verbrecherischen Handeln liefern. Und zum andern, dass die Entscheidung über die moralische Verantwortbarkeit der weiteren „Kosten“ an Menschenleben unter der ukrainischen Zivilbevölkerung ausschließlich in die Zuständigkeit ihrer Regierung falle. Moralisch verbindliche Normen sind universaler Natur.

    Die unter Druck stattfindende eskalierende Aufrüstung könnte der Beginn einer weltweiten Rüstungsspirale mit katastrophalen Konsequenzen sein, nicht zuletzt auch für die globale Gesundheit und den Klimawandel. Es gilt, bei allen Unterschieden, einen weltweiten Frieden anzustreben. Der europäische Ansatz der gemeinsamen Vielfalt ist hierfür ein Vorbild.

    Wir sind, sehr verehrter Herr Bundeskanzler, überzeugt, dass gerade der Regierungschef von Deutschland entscheidend zu einer Lösung beitragen kann, die auch vor dem Urteil der Geschichte Bestand hat. Nicht nur mit Blick auf unsere heutige (Wirtschafts-)Macht, sondern auch in Anbetracht unserer historischen Verantwortung – und in der Hoffnung auf eine gemeinsame friedliche Zukunft.

    Wir hoffen und zählen auf Sie!
    Hochachtungsvoll

    DIE ERSTUNTERZEICHNERiNNEN

    Andreas Dresen, Filmemacher | Lars Eidinger, Schauspieler | Dr. Svenja Flaßpöhler, Philosophin | Prof. Dr. Elisa Hoven, Strafrechtlerin | Alexander Kluge, Intellektueller | Heinz Mack, Bildhauer | Gisela Marx, Filmproduzentin | Prof. Dr. Reinhard Merkel, Strafrechtler und Rechtsphilosoph | Prof. Dr. Wolfgang Merkel, Politikwissenschaftler | Reinhard Mey, Musiker | Dieter Nuhr, Kabarettist | Gerhard Polt, Kabarettist | Helke Sander, Filmemacherin | HA Schult, Künstler | Alice Schwarzer, Journalistin | Robert Seethaler, Schriftsteller | Edgar Selge, Schauspieler | Antje Vollmer, Theologin und grüne Politikerin | Franziska Walser, Schauspielerin | Martin Walser, Schriftsteller | Prof. Dr. Peter Weibel, Kunst- und Medientheoretiker |
    Christoph, Karl und Michael Well, Musiker | Prof. Dr. Harald Welzer, Sozialpsychologe | Ranga Yogeshwar, Wissenschaftsjournalist | Juli Zeh, Schriftstellerin | Prof. Dr. Siegfried Zielinski, Medientheoretiker

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    und Brief II FÜR Waffenlieferungen (veröffentlicht in der Zeit)

    Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

    auf der Maikundgebung in Düsseldorf haben Sie gegen Pfiffe und Protestrufe Ihren Willen bekräftigt, die Ukraine auch mit Waffenlieferungen zu unterstützen, damit sie sich erfolgreich verteidigen kann. Wir möchten Ihnen auf diesem Weg Beifall für diese klaren Worte zollen und Sie ermutigen, die Entschließung des Bundestags für Waffenlieferungen an die Ukraine rasch in die Tat umzusetzen.

    Angesichts der Konzentration russischer Truppen im Osten und Süden der Ukraine, der fortgesetzten Bombardierung der Zivilbevölkerung, der systematischen Zerstörung der Infrastruktur, der humanitären Notlage mit mehr als zehn Millionen Flüchtlingen und der wirtschaftlichen Zerrüttung der Ukraine infolge des Krieges zählt jeder Tag. Es bedarf keiner besonderen Militärexpertise, um zu erkennen, dass der Unterschied zwischen "defensiven" und "offensiven" Rüstungsgütern keine Frage des Materials ist: In den Händen der Angegriffenen sind auch Panzer und Haubitzen Defensivwaffen, weil sie der Selbstverteidigung dienen.

    Wer einen Verhandlungsfrieden will, der nicht auf die Unterwerfung der Ukraine unter die russischen Forderungen hinausläuft, muss ihre Verteidigungsfähigkeit stärken und die Kriegsfähigkeit Russlands maximal schwächen. Das erfordert die kontinuierliche Lieferung von Waffen und Munition, um die militärischen Kräfteverhältnisse zugunsten der Ukraine zu wenden. Und es erfordert die Ausweitung ökonomischer Sanktionen auf den russischen Energiesektor als finanzielle Lebensader des Putin-Regimes.

    Es liegt im Interesse Deutschlands, einen Erfolg des russischen Angriffskriegs zu verhindern. Wer die europäische Friedensordnung angreift, das Völkerrecht mit Füßen tritt und massive Kriegsverbrechen begeht, darf nicht als Sieger vom Feld gehen. Putins erklärtes Ziel war und ist die Vernichtung der nationalen Eigenständigkeit der Ukraine. Im ersten Anlauf ist dieser Versuch aufgrund des entschlossenen Widerstands und der Opferbereitschaft der ukrainischen Gesellschaft gescheitert. Auch das jetzt ausgerufene Ziel eines erweiterten russischen Machtbereichs von Charkiw bis Odessa kann nicht hingenommen werden.

    Die gewaltsame Verschiebung von Grenzen legt die Axt an die europäische Friedensordnung, an deren Grundlegung Ihre Partei großen Anteil hatte. Sie beruht auf Gewaltverzicht, der gleichen Souveränität aller Staaten und der Anerkennung der Menschenrechte als Grundlage für friedliche Koexistenz und Zusammenarbeit in Europa. Es widerspricht deshalb nicht der Ostpolitik Willy Brandts, die Ukraine heute auch mit Waffen zu unterstützen, um diese Prinzipien zu verteidigen.

    Russlands Angriff auf die Ukraine ist zugleich ein Angriff auf die europäische Sicherheit. Die Forderungen des Kremls für eine Neuordnung Europas, die im Vorfeld der Invasion formuliert wurden, sprechen eine klare Sprache. Wenn Putins bewaffneter Revisionismus in der Ukraine Erfolg hat, wächst die Gefahr, dass der nächste Krieg auf dem Territorium der Nato stattfindet. Und wenn eine Atommacht damit durchkommt, ein Land anzugreifen, das seine Atomwaffen gegen internationale Sicherheitsgarantien abgegeben hat, ist das ein schwerer Schlag gegen die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen.

    Was die russische Führung fürchtet, ist nicht die fiktive Bedrohung durch die Nato. Vielmehr fürchtet sie den demokratischen Aufbruch in ihrer Nachbarschaft. Deshalb der Schulterschluss mit Lukaschenko, deshalb der wütende Versuch, den Weg der Ukraine Richtung Demokratie und Europa mit aller Gewalt zu unterbinden. Kein anderes Land musste einen höheren Preis bezahlen, um Teil des demokratischen Europas werden zu können. Die Ukraine verdient deshalb eine verbindliche Beitrittsperspektive zur Europäischen Union.

    Die Drohung mit dem Atomkrieg ist Teil der psychologischen Kriegführung Russlands. Dennoch nehmen wir sie nicht auf die leichte Schulter. Jeder Krieg birgt das Risiko einer Eskalation zum Äußersten. Die Gefahr eines Nuklearkrieges ist aber nicht durch Konzessionen an den Kreml zu bannen, die ihn zu weiteren militärischen Abenteuern ermutigen. Würde der Westen von der Lieferung konventioneller Waffen an die Ukraine zurückscheuen und sich damit den russischen Drohungen beugen, würde das den Kreml zu weiteren Aggressionen ermutigen. Der Gefahr einer atomaren Eskalation muss durch glaubwürdige Abschreckung begegnet werden. Das erfordert Entschlossenheit und Geschlossenheit Europas und des Westens statt deutscher Sonderwege.

    Es gibt gute Gründe, eine direkte militärische Konfrontation mit Russland zu vermeiden. Das kann und darf aber nicht bedeuten, dass die Verteidigung der Unabhängigkeit und Freiheit der Ukraine nicht unsere Sache sei. Sie ist auch ein Prüfstein, wie ernst es uns mit dem deutschen "Nie wieder" ist. Die deutsche Geschichte gebietet alle Anstrengungen, erneute Vertreibungs- und Vernichtungskriege zu verhindern. Das gilt erst recht gegenüber einem Land, in dem Wehrmacht und SS mit aller Brutalität gewütet haben.

    Heute kämpft die Ukraine auch für unsere Sicherheit und die Grundwerte des freien Europas. Deshalb dürfen wir, darf Europa die Ukraine nicht fallen lassen.

    DIE ERSTUNTERZEICHNERiNNEN

    Stephan Anpalagan | Gerhart Baum | Marieluise Beck | Maxim Biller | Marianne Birthler | Wigald Boning | Prof. Tanja Börzel | Hans Christoph Buch | Mathias Döpfner | Prof. Sabine Döring | Thomas Enders | Fritz Felgentreu | Michel Friedman | Ralf Fücks | Marjana Gaponenko | Eren Güvercin | Rebecca Harms | Wolfgang Ischinger | Olga Kaminer | Wladimir Kaminer | Dmitrij Kapitelman | Daniel Kehlmann | Thomas Kleine-Brockhoff | Gerald Knaus | Gerd Koenen | Ilko-Sascha Kowalczuk | Remko Leemhuis | Sabine Leutheusser-Schnarrenberger | Igor Levit | Sascha Lobo | Wolf Lotter | Ahmad Mansour | Marko Martin | Jagoda Marinić | Prof. Carlo Masala | Markus Meckel | Eva Menasse | Herta Müller | Prof. Armin Nassehi | Ronya Othmann | Ruprecht Polenz | Gerd Poppe | Antje Rávik Strubel | Prof. Hedwig Richter | Prof. Thomas Risse | Prof. Gwendolyn Sasse | Prof. Karl Schlögel | Peter Schneider | Linn Selle | Constanze Stelzenmüller | Funda Tekin | Sebastian Turner | Helene von Bismarck | Marie von den Benken | Marina Weisband | Deniz Yücel | Prof. Michael Zürn

    ViSdP: Ralf Fücks, Zentrum Liberale Moderne, Reinhardtstr. 15, 10117 Berlin

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Montag, 09.05.2022

  • Angst muss man ernst nehmen

    Der erste Offene Brief zum Ukraine-Krieg mit bislang 200.000 Unterschriften sorgte für Häme und Beschimpfungen. Dabei artikulieren die Unterzeichner auch die große Angst, dass der Krieg in der Ukraine sich weiter ausbreitet und bis zu uns kommt. Das ist ihr gutes Recht, finde ich.

    Die Zeit ist hoch emotionalisiert und in allen Debatten scheint es nur schwarz und weiß zu geben, oder, wie Lenin gesagt haben soll: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Dass Menschen Angst haben und das öffentlich artikulieren, muss man ernst nehmen. Wohin kommen wir, wenn ihnen dafür eine Welle der Entrüstung entgegenschlägt? Essentiell für eine Demokratie ist das Aushandeln, die lebendige Debatte, das Abwägen. Und das Einander-Zuhören. Und zwar mit Respekt!

    (Was mir nicht gefällt an dem Brief, ist der Zungenschlag bezüglich dem berechtigten Widerstand gegen einen Aggressor und dem Maß an Zerstörung und menschlichem Leid. Ich lese: Gebt auf, um noch mehr Leid zu verhindern. Das finde ich anmaßend.)

    Ich teile hier einen Beitrag auf DLF. Darin geht es um Nebenwirkungen von Corona-Impfungen und den Umgang mit den Betroffenen. Impfskeptiker könnte man mit mehr Transparenz überzeugen, so die Autoren des Artikels. Nicht, indem man einfach die Probleme unter den Teppich kehrt. Und ja, ich bin geimpft. Und skeptisch.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Donnerstag, 05.05.2022

  • Schon wieder die Künstler vergessen!

    Ohne kUNSt geht nichts, hieß es in der Pandemie-Zeit. Und was gab es nicht alles, Stipendien noch und nöcher. Und jetzt? Kleinunternehmer wollen überhaupt nicht verdienen, tönt eine SPD-Abgeordnete. Deshalb sei es nur gerecht, nein "folgerichtig", wenn soloselbständige Kleinunternehmer, unter denen viele Künstler sind, von der Energiepauschale ausgeschlossen werden. Wumm! Die Ohrfeige hat gesessen, Frau Hagedorn!

    Keine Entlastungspauschale für soloselbständige Kleinunternehmer? Liest man die Einlassungen der SPD-Abgeordneten Bettina Hagedorn auf Abgeordnetenwatch, scheint das durchaus gewollt. Ihre Argumente zeigen eine erstaunliche Mischung aus Unkenntnis und Naivität, gepaart mit Bequemlichkeit und Arroganz, finde ich jedenfalls. Dabei sind die Künstler, die weit unterhalb der Einkommensgrenze einer langjährigen Bundestagsabgeordneten ihren prekären Bohème-Lebensstil fristen, in der Pandemie erstmalig ins Blickfeld geraten. Und denen wollte man helfen, oder? Frau Hagedorn, übrigens früher Goldschmiedin, sagt zu den Regelungen Folgendes:

    1. Der Weg, die Entlastungspauschale von 300 Euro über die Einkommenssteuer-Vorauszahlung weiterzugeben, sei einfach und "unbürokratisch" (Merke: Gehe immer den einfachsten Weg! Kümmere dich nicht darum, dass ganze Bevölkerungsgruppen ausgeschlossen werden, Gedöns wie Kleinunternehmer, RentnerInnen und StudentInnen, Leute, die zwar wenig Geld haben, aber kein Wohngeld beziehen.)
    2. Wer mehr verdiene, habe auch höhere Kosten. (Merke: Entlaste die Gutverdiener! Um die, die am prekären Rand rumlümmeln, kann sich die SPD nicht auch noch kümmern. Bei ihnen geht es nur um Minibeträge, die aufs Ganze gerechnet, kaum ins Gewicht fallen.)
    3. Kleinunternehmer machen das mit Absicht, dass sie wenig Geld verdienen. Und weil das so perfide klingt, muss ich Frau Hagedorn wörtlich zitieren:

    "Für Kleinstunternehmer entfallen – staatlich gewollt – viele bürokratische Pflichten und Belastungen wie u.a. die Tatsache, dass sie trotz Selbstständigkeit keine Vorsteuer zahlen müssen. Ich kenne persönlich durchaus Kleinstunternehmer, die sich aus diesem Grund Jahr für Jahr bemühen, genau diese Grenze mit ihrer Unternehmung NICHT zu überschreiten (...). Dann ist es allerdings auch folgerichtig, diejenigen stärker zu entlasten, die bei Steuern und Abgaben höhere Beiträge zur Unterstützung unseres Sozialstaates 'in Kauf nehmen'."

    Genau so siehts aus: Unausgesetzt flehe ich meine Auftraggeber an, mir bitte bitte niedrige Honorare zu zahlen. Nein! Keine 300 Euro für die Lesung! 200 reichen auch, ach, 50! Oder kostenlos! Lieber Verlag, kann ich nicht für 1 Euro pro Normseite lektorieren? Das ist so nett, danke! Stipendien, darauf bewerbe ich mich nicht, die werden mir auf die Einkommenssteuer angerechnet, das geht garnicht. Ihr wollt mir Geldgeschenke in größerer Höhe zukommen lassen? Sorry. Muss ich leider ablehnen. Zumindest, wenn ich damit über der Einkommensgrenze von (maximal) 1.800 Euro im Monat liege.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Donnerstag, 28.04.2022

  • Den Blick schärfen

    Kreatives Schreiben: Man lernt, Kleinigkeiten wahrzunehmen

    Am Samstag im Dacheröden: Unsere Runde war klein (Frühling! Corona!), dafür um so intensiver. Wir hatten reichlich Vogelgesang (CD), haben den Hof mit der Lupe und aus der Vogelperspektive ergründet, aus Textknospen Geschichten wachsen lassen. Eine Teilnehmerin sagte schließlich: Am kreativen Schreiben gefalle ihr, dass es den Blick schärfe. Man lerne, Kleinigkeiten zu bemerken. Und sich daran zu freuen, ergänzte eine andere. Das fand ich toll! Und ich habe an mir bemerkt, dass ich genau das auch bei der Vorbereit- und Durchführung genieße.

    In einem anderen Kurs höre ich immer wieder: Der neue Blick fasziniere. Die Vielfalt, die sich aus dem Spiel mit Perspektiven und Personen, mit Abständen, mit sprachlich-formalen Puzzleteilen ergibt. Egal, wie eng ich den Rahmen stecke: Jeder Text, der entsteht, ist anders. Immer wieder überrascht mich, was sich zeigt, bei mir, bei den Teilnehmern.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Montag, 28.03.2022

  • Weimar, 9. März 2022

    Heute habe ich die ersten Ankömmlinge aus der Ukraine gesehen. Ich habe sie an ihren grauen Gesichtern erkannt, an ihren gebeugten Schultern, den schweren Mänteln. Einer der jungen Frauen flatterten die Klappen ihrer Pelzschapka um die Ohren. Ich fuhr an ihnen vorüber und schämte mich: für die Frühlingssonne, für das Zwitschern der Meisen und den kichernden Grünspecht, für die Krokusse und das frische Grün an den Sträuchern und dafür, dass ich auf meinem Fahrrad an ihnen vorbeifahren konnte, während sie doch nichts mehr hatten – nicht einmal ein Fahrrad.

    Seit Krieg ist, suchen wir ständig im Netz nach Informationen aus der Ukraine. Wenn die Nachrichten kommen, drehen wir das Radio lauter und müssen an uns halten, um nicht mit Kommentaren herauszuplatzen. Wie absurd, dass unser Alltag weitergeht, während Millionen Menschen gerade alles verlieren, ihre Sicherheit, ihre Wohnung, ihren Besitz. Ich kann den Wasserhahn aufdrehen, das Licht anschalten, zum Arzt gehen. Mein Bett, meine Wohnung, mein Kühlschrank. Wie ist es, den Mann, den Bruder, den Sohn in den Krieg zu verabschieden? Fortzugehen und die alten Eltern zurückzulassen? Was hat noch Wert, im Angesicht eines Krieges? Lohnt es sich, weiter an einem Roman zu arbeiten? Wer wird ihn lesen wollen?

    Ich schreibe eine Liste mit Dingen, die ich bei einer Flucht unbedingt mitnehmen muss: Ausweis, Studienabschluss, Bargeld, Geburtsurkunde. Einen Stick oder eine Festplatte mit meinen Texten. Welches Buch könnte mich unterwegs trösten: Gedichte? Von Kästner, der Kaschnitz? Goethes Faust? Grimms Märchen? Der Simplicissimus? Oder gar – mich Ungläubige – die Bibel? Wo würde ich die Katze unterbringen? Einfach zurücklassen könnte ich sie nicht, unser übergewichtiges und lebensunkluges Stubentier, zu viel Angst hätte ich, dass sie verhungert oder bei einer Hungersnot in einem Kochtopf landet.

    Fassungslos, dass die Sicherungssysteme versagen, die nach den Kriegen des vergangenen Jahrhunderts einen neuen ein für alle Mal verhindern sollten. Dass ausgerechnet Russland einen neuen Krieg beginnt, Russland, das im letzten Krieg, von dem meine Mutter noch erzählt, unter so vielen Opfern den Frieden gebracht hat. Fassungslos, dass Diplomatie und Sanktionen ins Leere laufen. Fassungslos über die Feindschaft, die den Russen jetzt entgegenschlägt, wegen eines einzigen Menschen, der seine sorgsam aufgebaute Machtfülle skrupellos einsetzt.

    Wir diskutieren die Optionen: Verhandeln? Den Geldhahn zudrehen? Stärke zeigen? Oder Zurückhaltung und nur nicht mit den Säbeln rasseln? Auch Hitler hätten die Alliierten sofort und konsequent stoppen müssen, sagt einer. Man müsse diesem Wahnsinnigen Einhalt gebieten. Mit allen Mitteln! Ich nicke. ABER, denke ich später: Hitler hatte keine Atomwaffen. Mit einem Knopfdruck könnte Putin Europa auslöschen und die Welt jenseits des Atlantiks. Oder die ganze Welt und sich selbst dazu. Was ist das Richtige? Wer kann besänftigen, wer kann vermitteln?

    Sicherheiten brechen weg wie Schollen von Gletschereis. Was wird aus uns? Schon jetzt weiß ich, dass ich im Alter meinen Lebensstandard nicht halten werde. Wird schon irgendwie, dachte ich immer. Jetzt nicht mehr. Jetzt kommt die Rechnung für das gute Leben, das so gut nun auch wieder nicht war. Dafür, dass es mir besser ging als den meisten anderen Menschen auf der Welt, weil ich das Privileg hatte, zufällig hier geboren zu sein. Jetzt kommt alles zu uns zurück: der Klimawandel. Das Sterben der Wälder. Corona. Der Krieg.

    Schon im ersten Lockdown fürchtete ich den Zusammenbruch aller zivilen Schutz- und Sicherungssysteme. Ich weiß noch, wie ich dachte: Daran werden wir uns erinnern. Wie es jetzt gewesen ist. Als wir noch glaubten, wir kämen davon. Im Vergleich mit dem Krieg erscheint mir Corona wie eine Klopapier-Krise. In den Metro-Schutzhöhlen von Kiew, in den überfüllten Zügen, auf den Anti-Kriegs-Demonstrationen trägt kaum jemand eine Maske. Wer wollte das einfordern?

    Auch bei uns werden Menschen hungern, mehr, als bisher. Viele werden sich vieles nicht mehr leisten können. Vielleicht müssen auch wir uns bald eine kleine Wohnung suchen. Schon jetzt lohnen sich meine Kurse nicht mehr. Verrechne ich meinen Verdienst, der auch in besseren Zeiten knapp bemessen ist, mit den Spritpreisen, bleibt nichts übrig. Ich ertappe mich bei den Gedanken, dass wir ja nicht die Einzigen sind, deren magere Ersparnisse schmelzen. Und dass die Regierung etwas unternehmen muss oder die EU. Mag sein, dass meine Ängste kleinlich sind angesichts dessen, was den Menschen zehn Autostunden entfernt gerade widerfährt, oder denen, die anderswo auf der Flucht sind. Aber ich kann sie nicht abstellen. Sie halten mich nachts wach. Sie bedrücken mich am Tag.

    Literarisch betrachtet, scheint der Stoff das Potential für ein Drama von Shakespeare’scher Wucht zu haben: Putin, Despot und Tyrann, und Selenskyi, der junge, jüdische Intellektuelle, Jurist und Spaßmacher, der über sich hinauswächst, weil er sein Land retten will. Die alten Männer an Putins langem Tisch und die Klitschko-Brüder. Der Chor der Staatsmächte, darunter unser Land mit Wehrpflicht und Waffenlieferungen. Der Chor der fliehenden Menschen. Doch ich bleibe skeptisch. Was sehen wir, was sehen wir nicht? Auch Shakespeare ist bei seiner Darstellung von Richard III einer Propaganda aufgesessen.

    Schreiben hilft und ist Verantwortung: zu dokumentieren, zu mahnen, den Lesern Mittel zur Bewältigung anzubieten und die Ereignisse zurechtzurücken. Denn die eigentliche Tragödie liegt darin, dass der Krieg uns von dem abhält, was wirklich drängt: den Klimawandel aufzuhalten und der Erde eine Zukunft zu geben.

    Auf www.literaturland-thueringen.de finden sich die Stimmen einiger Thüringer Schriftsteller und Schriftstellerinnen gegen den Krieg

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Freitag, 11.03.2022

  • Thüringer Verlagstage in Arnstadt

    Vom 16. bis 19. März veranstaltet der Thüringer Kommunalverlag (THK-Verlag) in Arnstadt die "Arnstädter Verlagstage". Mit dabei auch drei meiner "Schützlinge": Zwei Bücher habe ich lektoriert, ein Autor kommt regelmäßig zu meinen Schreibworkshops.

    Veranstaltungsorte:

    • Arnstädter Buchkombinat, An der Weiße 18, 99310 Arnstadt
    • Schlossmuseum Arnstadt, Festsaal, Schlossplatz 1, 99310 Arnstadt
    • Ilmkreis-Center (IKC), Stadtilmer Str. 100, 99310 Arnstadt

    Meine Tipps:

    Am 17. März um 13 Uhr im IKC liest Rainer Franke aus: "Sieben Zwerge 2.0" (PROOF-Verlag Erfurt)

    Am 17. März um 14.30 Uhr im IKC liest Knut Wagner aus "Leben ohne Maske" (Verlag Kern, Ilmenau)

    Am 19. März um 11 Uhr im IKC liest Frank Stübner aus "Gut Runst!" (Verlag Kern, Ilmenau)

    Veranstaltungsorganisation: Thüringer Kommunalverlag, Frank Kuschel

    Mehr Infos:

    THK-Verlag

    Literaturland Thüringen

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Dienstag, 08.03.2022

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