Poesieblog

  • Gut gendern: Mein *-X-_-/-Innen-Vorschlag

    Die gerechte Sprache gefällt mir nicht. Mit Passivkonstruktionen und geschlechtsneutralen Wortbildungssuffixen fördert sie das Beamtendeutsch. Hört auf, die Substantive wie Weihnachtsbäume zu behängen! Sternchen, Unterstrich, Schrägstrich, Groß-I, Klein-i, das bimmelt und klimpert und am Ende weiß eine garnicht mehr, was das Wort selbst eigentlich bedeutet!

    Gerechte Sprache? Unbedingt! Frauen sollen sich selbst deutlich nennen und andere sollen zeigen, dass sie Frauen wertschätzen. Wenn eine Frau von sich sagt: "Ich bin Lehrer", schmerzt mich das. Als ginge bei solchen (Nicht-)Bezügen ein wichtiger Teil dessen verloren, was diese Frau ausmacht. Als könnte sie sich in ihrem Beruf als Person nicht vollständig einbringen, sondern müsste sich anpassen und einschränken.

    Doch die gerechte Sprache, auch in ihrer soften Variante wie hier im Genderwörterbuch "Geschickt gendern", regt mich auf. Nach meinem Eindruck befördert sie mit Passivkonstruktionen und geschlechtsneutralen Wortbildungssuffixen wie -schaft, -heit, -keit das Beamtendeutsch. Wichtiger noch: Akteure werden ausgeblendet. Ich bin nämlich auch für eine lebendige und unmittelbar-konkrete Sprache. Ich will intuitiv und trotzdem gerecht sprechen und schreiben. Ich will deutlich sagen, wer etwas getan oder nicht getan hat.

    Mein Vorschlag: Hände weg vom Substantiv! Hört auf, die armen Dinger wie Weihnachtsbäume zu behängen! Sternchen, Unterstrich, Schrägstrich, Groß-I, Klein-i, das bimmelt und klimpert und am Ende weiß eine nicht mehr, was das Wort selbst eigentlich bedeutet. Jenseits aller Ver- und Entgenderung meine ich. Und bitte nicht an den Substantiven selbst rumbasteln, um sie zu "entschärfen"!

    Im Deutschen sind auch Artikel Genusmarker. Die doppelte Markierung Artikel + Anhängsel am Substantiv ist im Grunde völlig überflüssig. Nehmen wir doch einfach unsere Sprache ernst und die Möglichkeiten, die sie uns bietet. Machen wir das Gendern intuitiver und konkreter und die Grammatik auch! Echt jetze!

    Das Problem ist strukturell, die Substantiv-Fixiertheit auch. Das Deutsche (Linguistik Grundstudium, frei nach Schlegel) ist auf dem Weg vom synthetischen zum analytischen Sprachbau. Grammatische Kategorien wie das Geschlecht der Substantive werden überwiegend extern, also mit der, die und das oder ein, eine, ein markiert. Im Singular problemlos als Genusmarker zu benutzen: Ich gehe zu der Arzt. Ich gehe zu dem Arzt. Ich gehe zu einer Arzt. Ich gehe zu einem Arzt. Kann und will ich gern noch weiterdenken. Geht übrigens zurück auf Luise Pusch, hier etwas zum Schmökern über sie.

    Allerdings (Aufschrei) würden diejenigen keine sprachliche Repräsentanz finden, die sich als weder weiblich noch männlich verstehen. Ich finde jedoch (AUFSCHREI!), nicht jede Einzel-Identität sollte in der Allgemein-Sprache eine Botschaft eröffnen dürfen. Und nebenbei bemerkt, mich interessiert nicht, welche sexuelle Identität mein jeweiliges Gegenüber für sich beansprucht.

    Manchmal spreche ich übrigens tatsächlich so, das heißt, ich benutze die Artikel konsequent genusbezogen. Dann freue ich mich diebisch über Irritationen und darüber, "Unordnung" in die Sprache zu bringen und sie ein bisschen anzustubsen. Denn Sprache verändert sich nicht von allein! Apropos: Hier noch ein Artikel zum sogenannten generischen Maskulinum vom Sprachblog des Linguisten Anatol Stefanowitsch.

    Nachtrag: Weil im Deutschen der Stammvokal betont wird, schleifen sich seit Jahrtausenden die Endsilben ab. Auch die Genderkennzeichnung wird verblassen und verschwinden, wenn sie am Wortende angehangen wird: Voralthochdeutsch: gebanan, Althochdeutsch: geban, Mittelhochdeutsch: geben (kurzes e Stammvokal), Neuhochdeutsch: geben (gedehntes e Stammvokal, "Kannste mir mein Kaffe gehm?).

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Freitag, 28.10.2016 in Gender, Gutes Deutsch, Politisches

  • Grammatikblog: Tipp

    Noch ein Tipp (weil wir schonmal dabei sind): einen zauberhaften Grammatik-Blog, den ich allen wärmstens ans Herz lege:

    Angelika Jodl. Das Buch dazu heißt: "Die Grammatik der Rennpferde" und ich will es lesen. Unbedingt!

    Nachtrag am 7. Dezember: Ich habe mir "Die Grammatik der Rennpferde" zum Nikolaus geschenkt und bin begeistert. Entzückend! Spannend! Genau mein Motto: Deutsch darf auch Spaß machen. Unbedingte Empfehlung für DaZ-Lehrende in der Erwachsenenbildung und sprachbegeisterte Grammatikfreaks!

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Montag, 24.10.2016 in Schreiben

  • Action und Perspektive

    Wenn einer Figur etwas passiert, kann sie nicht darüber erzählen. Sie muss sofort reagieren und aufhören zu labern. Wie erzählt man das in der personalen Perspektive?

    Eine weitere Schreibbeobachtung: Mir fällt es schwer, Action-Szenen zu schreiben. Ich schleiche mich gern von hinten an, aus dem sicheren Versteck, Rückblende, jemand anders beobachtet und erzählt ... Als wäre da ein Dilemma: Wenn einer Figur etwas passiert, muss sie sofort reagieren. Sie kann nicht labern. Also muss jemand anders den Redepart übernehmen.

    Wenn ich gerade in einer personalen Erzählperspektive stecke, rutsche ich bei action-Szenen leicht ins Auktoriale. Auktorial mag ich nicht. Wirkt so onkelhaft.

    Was unterscheidet: »Ein Moment, im Nachhinein. Die Faust vor seinem Gesicht und der Gedanke: ›Das passiert jetzt mir!‹ Das Nächste, woran er sich erinnerte ...« und »Er sah die Faust auf sich zukommen. Blitzschnell wich er mit einer Drehung aus. Sein Angreifer setzte nach. Erwischt! Er spürte keinen Schmerz. Im Fallen dachte er verwundert: ›Das passiert jetzt mir?‹. Dann dachte er nichts mehr. Dunkelheit umfing ihn.«? Der Abstand.

    Erklärung: 1. Ich bin sehr dicht (zu dicht?) an meinen Figuren. 2. Personen, ihr Verhalten und ihre Interaktion: daraus entfaltet sich bei mir die Handlung. Nicht aus Szenen oder Bildern.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Dienstag, 11.10.2016 in Schreiben

  • In der Schule hieß es immer: Es gibt keine dummen Fragen (nur dumme Antworten). Am 28. September ist in den USA der Stell-eine-dumme-Frage-Tag. Fangen wir doch gleich mal damit an: Welche lustigen Gedenktage gibt es noch? Da wäre zum Beispiel der weltweite "Brate-Eier-auf-dem-Gehweg-Tag" (4. Juli) oder der weltweite "Erfinde deinen eigenen Feiertag-Tag" (26. März).

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Mittwoch, 28.09.2016 in Fundstücke

  • Schreibschrift oder nicht Schreibschrift in der Grundschule? An ihrer Abschaffung würde vor allem die Computerlobby verdienen, erläutert die Tageszeitung taz.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Donnerstag, 25.08.2016 in Fundstücke, Sprachpolitik

  • In der causa Böhmermann/Erdogan prallten unterschiedliche Systeme der Wirklichkeitsdeutung aufeinander, befindet der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen. Um so wichtiger, eine "freie, kritische, manchmal auch angriffslustige Sprache zu bewahren, die Unrecht und Unterdrückung klar kenntlich werden lässt", so Pörksen.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Dienstag, 19.04.2016 in Fundstücke, Sprachpolitik

  • Die deutschen Medien haben die Griechenland-Krise überwiegend meinungsorientiert und wertend dargestellt. Zu diesem Ergebnis kommt 2015 eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung, die 1.442 Artikel in deutschen Tageszeitungen untersuchte. 

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Mittwoch, 13.04.2016 in Politisches

  • Baumgeschichten

    Holzwurm-Hieroglyphen. Mit Engelbild! Wer sagt denn, dass Würmer nicht schreiben können?

    »Lies!« Bücherfresser hielt Jockel einen morschen Ast hin.
    »Das ist ein Stock!«
    »Lies!«
    »Hey! Hör auf, mir damit vor der Nase rumzufuchteln!«
    Doch Bücherfresser hielt ihm das Ding unbeirrt entgegen. Jockel seufzte. »Na gut!« Er nahm ihn, drehte ihn, hielt ihn unter die Augen und fuhr schließlich mit den Fingern darüber.
    »Is ja abgefahren. Das sieht aus wie Schrift!«
    »Holzwurm-Hieroglyphen«, Bücherfresser strahlte stolz. »Wer sagt denn, dass Würmer nicht schreiben können?«
    »Kannst du das lesen?«
    »Noch nicht. Aber es gibt Dialekte. Regionale Unterschiede. Schau mal. Das hier zum Beispiel«, er zeigte auf ein besonders ausgeprägtes Relief: »ist mit großer Wahrscheinlichkeit eine Botschaft an andere, vorbeiziehende Wurmgruppen. Dieses Motiv habe ich mit nur geringfügigen Abweichungen auf 93 Prozent meiner Untersuchungsgegenstände gefunden.«
    »Und? Was schreiben die Würmer so? Hier is viel Holz vor der Hütte? Oder: Vorsicht, Specht?«
    »Ich stehe kurz vorm Durchbruch.«
    »Durchbruch. Schon klar.«

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Montag, 11.04.2016 in Schreiben, Wege durch die Stadt

  • Auf eine Zigarette

    Wenn's ernst wird, ziehen sie sich zurück auf ihre Raucherinsel.

    Nach einem Tages-Seminar "Biografisches Schreiben": Die Raucher. In Seminaren nenne ich sie gern: die Sich-Verdrücker. Wenn's ernst wird, ziehen sie sich zurück auf ihre Raucherinsel. Unbehagen? Sich auf ein Thema einlassen? Erstmal eine rauchen! Draußen sitzen sie und schwatzen und bringen meine kunstvolle Hinführungs-Architektur zum Rieseln. Beim Reinkommen sind sie übertrieben leise ("Pscht!"), nehmen probeweise den Stift. Sagen halblaut in die Runde: "Nee. Das geht nicht. Ich kann einfach nicht auf Kommando schreiben." Grrr!

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Mittwoch, 06.04.2016 in Schreiben

  • ... meint Raimund Fellinger, Cheflektor des Suhrkamp-Verlages in der Süddeutschen.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Dienstag, 23.02.2016 in Schreiben

  • E-Book oder Papierbuch?

    Der Weihnachtsmann (danke Mutti!) hat mir einen E-Book-Reader beschert.

    Weil ich inzwischen tief im Lesebrillen-Alter stecke, war ich angetan von der Möglichkeit, Geschriebenes so lesefreundlich zu machen, wie ich es brauche: die Buchstaben zu vergrößern, eine andere Schrift einzustellen oder das Display zu beleuchten. Zudem reizt mich die Möglichkeit, mit Hyperlinks einen Text mehrdimensional aufzufächern. Und nicht zuletzt der praktische Aspekt: Wer will schon auf längeren Reisen einen Stapel fette Schwarten mit sich herum schleppen?

    Auf dem Reader waren unendlich viele, gemeinfreie Bücher vorinstalliert, ich entdeckte Rilke-Gedichte und schmökerte los. Und musste schnell die Brille wieder rausholen, denn wenn ich die Schrift größer stellte, gab's mitten in der Verszeile einen Zeilenumbruch. Und das geht ja nun garnicht! Sakrileg!

    Überhaupt: Kein Layout mehr. Kein wohlausgewogener Gesamteindruck von Schriftbild und Seite. Bei der Zeitungs- und Buchgestaltung kann die richtige Zeilen- und Buchstabenaufteilung echte Fitzelarbeit sein: Blocksatz so zu spationieren, dass keine großen Löcher entstehen, die das Schriftbild zerreißen. Dieses Problem gibt's bei E-Books schonmal nicht. Doch ich finde es irritierend, dass die Formatierungen variabel sind und Satzspiegel und Seitenaufteilung sich ändern. Schrift pur. Nichts sonst.

    Daran habe ich gemerkt, wie wichtig mir der Griff zum gedruckten Buch ist. Jedes ist einzeln und unverwechselbar. Schrift, Satzspiegel, Papierstärke, Dicke, die Stärke des Einbandes, Geruch, Fettflecken und Eselsohren, geben ihm etwas Unverwechselbares, Persönliches. Vermutlich wird das digitale Lesen unser Verhältnis zu Texten grundlegend verändern. In einem E-Book-Reader stecken alle Geschichten in derselben Verpackung. Für mich geht damit etwas von ihrem Glanz verloren. Wie ändert sich der Inhalt, wenn die Form beliebig ist?

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Samstag, 02.01.2016 in Lesen

  • Die Gesellschaft für Deutsche Sprache hat "Flüchtlinge" zum Wort des Jahres 2015 gewählt. Anatol Stefanowitsch setzt sich auf Sprachlog mit der Frage auseinander, ob das Wort einen abwertenden Beigeschmack hat.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Montag, 14.12.2015 in Politisches

  • Griff in die Portokasse

    Wieder einmal holt die Deutsche Post zu einem vernichtenden Schlag gegen ihren Lieblingsfeind aus: ihre Kundschaft. Genauer gesagt, die Ewiggestrigen, die immer noch Briefe schreiben und sie per Post befördern lassen wollen.

    Eigentlich postalisches Kerngeschäft, sollte man meinen. Doch es sieht immer mehr so aus, als wollte die Post das unrentable Briefgeschäft klammheimlich ausbluten lassen. Wer schon einmal mit einem dringenden Brief in der Hand die Straßen auf der Suche nach einem Briefkasten abgeklappert hat (ich weiß genau, hier war mal einer!), weiß, wovon ich rede.

    Briefkästen verschwinden einfach (Wissen Sie noch? Diese gelben Blechdinger, in die man seine Post werfen konnte, also die Papierpost meine ich). Die vorhandenen werden immer seltener geleert. Postfilialen schließen oder können, wie bei uns hier, nur überleben, weil sie sich Räume und Arbeitskräfte mit einer Textilreinigung teilen.

    n den letzten Jahren stieg das Porto in exorbitante Höhen, immer wenn man glaubte, jetzt reicht's aber, legte die Post noch was drauf. Kaum hatte ich den ersten Stapel 2-Cent-Zusatzbriefmarken abgearbeitet, mit dem man die Briefmarken aufstocken konnte, kam schon der 3-Cent-Ergänzungsstapel, den ich schließlich mit einem 5-Cent-Stapel kombinieren konnte. 

    Briefe schreiben: wird das jetzt Luxus? Verkommt das Schreiben mit der Hand zu einem Hobby der altmodischen Bildungsbürger? Briefe! Keine E-Mails! Mit der Hand, einem Füller, auf schönem Papier! Direkt Kopf – Hand – Buchstabe. Mein Vorschlag: Briefe künftig nach dem Schreiben einscannen und per Mail verschicken. Und groß den Hinweis plazieren: Bitte auf 100g-Büttenpapier ausdrucken!

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Dienstag, 08.12.2015 in Politisches, Schreiben

  • Gender live: noch eins

    "Es sollte jedem selber überlassen sein, wie er entbindet."

    (Gehört auf MDR Figaro, in einem Feature über Kaiserschnitt-Entbindungen. Anscheinend handelt es sich um ein Zitat aus einem Forum)

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Samstag, 21.11.2015 in Gender

  • Freitag, der 13.

    Aberglaube Aberglaube. Vierblättriges Kleeblatt, Lieschen fand's am Rain ...

    Aberglaube
    Vierblättriges Kleeblatt: Lieschen fand’s am Rain.
    Vor Freude, es zu haben
    Sprang Lieschen über’n Graben
    Und brach ihr bestes Bein.

    Spinnelein am Morgen: Lieschen wurd’ es heiß.
    Der Tag bracht’ keinen Kummer,
    Und abends vor dem Schlummer,
    Bracht’ Vater Himbeereis.

    Der Storch bringt nicht die Kinder,
    Die Sieben bringt kein Glück.
    Und einen Teufel gibt es nicht in uns’rer Republik!

    Dieses wunderbare Zeugnis DDR-deutscher Poesie stammt (na?) von Bertold Brecht (wer hätte das gedacht!) und geistert seit der dritten Klasse in den Kammern meines Gedächtnisses umher. Heute, am Freitag, dem 13. November 2015, hat es die Nase ins Licht gesteckt und wird an dieser Stelle allen angstbefangenen Abergläublingen präsentiert. Und wenn ich die Zeilen dem Reim gemäß umbreche: Ist es gar ein Sonett? Ein nicht ganz vollendetes?

    Nachtrag: Nach den Ereignissen dieses Abends (Charlie Hebdo) mag ich über Aberglauben nicht mehr scherzen.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Freitag, 13.11.2015 in Poesie-Debatte

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