Poesieblog

  • Action und Perspektive

    Wenn einer Figur etwas passiert, kann sie nicht darüber erzählen. Sie muss sofort reagieren und aufhören zu labern. Wie erzählt man das in der personalen Perspektive?

    Eine weitere Schreibbeobachtung: Mir fällt es schwer, Action-Szenen zu schreiben. Ich schleiche mich gern von hinten an, aus dem sicheren Versteck, Rückblende, jemand anders beobachtet und erzählt ... Als wäre da ein Dilemma: Wenn einer Figur etwas passiert, muss sie sofort reagieren. Sie kann nicht labern. Also muss jemand anders den Redepart übernehmen.

    Wenn ich gerade in einer personalen Erzählperspektive stecke, rutsche ich bei action-Szenen leicht ins Auktoriale. Auktorial mag ich nicht. Wirkt so onkelhaft.

    Was unterscheidet: »Ein Moment, im Nachhinein. Die Faust vor seinem Gesicht und der Gedanke: ›Das passiert jetzt mir!‹ Das Nächste, woran er sich erinnerte ...« und »Er sah die Faust auf sich zukommen. Blitzschnell wich er mit einer Drehung aus. Sein Angreifer setzte nach. Erwischt! Er spürte keinen Schmerz. Im Fallen dachte er verwundert: ›Das passiert jetzt mir?‹. Dann dachte er nichts mehr. Dunkelheit umfing ihn.«? Der Abstand.

    Erklärung: 1. Ich bin sehr dicht (zu dicht?) an meinen Figuren. 2. Personen, ihr Verhalten und ihre Interaktion: daraus entfaltet sich bei mir die Handlung. Nicht aus Szenen oder Bildern.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Dienstag, 11.10.2016 in Schreiben

  • In der Schule hieß es immer: Es gibt keine dummen Fragen (nur dumme Antworten). Am 28. September ist in den USA der Stell-eine-dumme-Frage-Tag. Fangen wir doch gleich mal damit an: Welche lustigen Gedenktage gibt es noch? Da wäre zum Beispiel der weltweite "Brate-Eier-auf-dem-Gehweg-Tag" (4. Juli) oder der weltweite "Erfinde deinen eigenen Feiertag-Tag" (26. März).

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Mittwoch, 28.09.2016 in Fundstücke

  • Schreibschrift oder nicht Schreibschrift in der Grundschule? An ihrer Abschaffung würde vor allem die Computerlobby verdienen, erläutert die Tageszeitung taz.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Donnerstag, 25.08.2016 in Fundstücke, Sprachpolitik

  • In der causa Böhmermann/Erdogan prallten unterschiedliche Systeme der Wirklichkeitsdeutung aufeinander, befindet der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen. Um so wichtiger, eine "freie, kritische, manchmal auch angriffslustige Sprache zu bewahren, die Unrecht und Unterdrückung klar kenntlich werden lässt", so Pörksen.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Dienstag, 19.04.2016 in Fundstücke, Sprachpolitik

  • Die deutschen Medien haben die Griechenland-Krise überwiegend meinungsorientiert und wertend dargestellt. Zu diesem Ergebnis kommt 2015 eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung, die 1.442 Artikel in deutschen Tageszeitungen untersuchte. 

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Mittwoch, 13.04.2016 in Politisches

  • Baumgeschichten

    Holzwurm-Hieroglyphen. Mit Engelbild! Wer sagt denn, dass Würmer nicht schreiben können?

    »Lies!« Bücherfresser hielt Jockel einen morschen Ast hin.
    »Das ist ein Stock!«
    »Lies!«
    »Hey! Hör auf, mir damit vor der Nase rumzufuchteln!«
    Doch Bücherfresser hielt ihm das Ding unbeirrt entgegen. Jockel seufzte. »Na gut!« Er nahm ihn, drehte ihn, hielt ihn unter die Augen und fuhr schließlich mit den Fingern darüber.
    »Is ja abgefahren. Das sieht aus wie Schrift!«
    »Holzwurm-Hieroglyphen«, Bücherfresser strahlte stolz. »Wer sagt denn, dass Würmer nicht schreiben können?«
    »Kannst du das lesen?«
    »Noch nicht. Aber es gibt Dialekte. Regionale Unterschiede. Schau mal. Das hier zum Beispiel«, er zeigte auf ein besonders ausgeprägtes Relief: »ist mit großer Wahrscheinlichkeit eine Botschaft an andere, vorbeiziehende Wurmgruppen. Dieses Motiv habe ich mit nur geringfügigen Abweichungen auf 93 Prozent meiner Untersuchungsgegenstände gefunden.«
    »Und? Was schreiben die Würmer so? Hier is viel Holz vor der Hütte? Oder: Vorsicht, Specht?«
    »Ich stehe kurz vorm Durchbruch.«
    »Durchbruch. Schon klar.«

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Montag, 11.04.2016 in Schreiben, Wege durch die Stadt

  • Auf eine Zigarette

    Wenn's ernst wird, ziehen sie sich zurück auf ihre Raucherinsel.

    Nach einem Tages-Seminar "Biografisches Schreiben": Die Raucher. In Seminaren nenne ich sie gern: die Sich-Verdrücker. Wenn's ernst wird, ziehen sie sich zurück auf ihre Raucherinsel. Unbehagen? Sich auf ein Thema einlassen? Erstmal eine rauchen! Draußen sitzen sie und schwatzen und bringen meine kunstvolle Hinführungs-Architektur zum Rieseln. Beim Reinkommen sind sie übertrieben leise ("Pscht!"), nehmen probeweise den Stift. Sagen halblaut in die Runde: "Nee. Das geht nicht. Ich kann einfach nicht auf Kommando schreiben." Grrr!

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Mittwoch, 06.04.2016 in Schreiben

  • ... meint Raimund Fellinger, Cheflektor des Suhrkamp-Verlages in der Süddeutschen.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Dienstag, 23.02.2016 in Schreiben

  • E-Book oder Papierbuch?

    Der Weihnachtsmann (danke Mutti!) hat mir einen E-Book-Reader beschert.

    Weil ich inzwischen tief im Lesebrillen-Alter stecke, war ich angetan von der Möglichkeit, Geschriebenes so lesefreundlich zu machen, wie ich es brauche: die Buchstaben zu vergrößern, eine andere Schrift einzustellen oder das Display zu beleuchten. Zudem reizt mich die Möglichkeit, mit Hyperlinks einen Text mehrdimensional aufzufächern. Und nicht zuletzt der praktische Aspekt: Wer will schon auf längeren Reisen einen Stapel fette Schwarten mit sich herum schleppen?

    Auf dem Reader waren unendlich viele, gemeinfreie Bücher vorinstalliert, ich entdeckte Rilke-Gedichte und schmökerte los. Und musste schnell die Brille wieder rausholen, denn wenn ich die Schrift größer stellte, gab's mitten in der Verszeile einen Zeilenumbruch. Und das geht ja nun garnicht! Sakrileg!

    Überhaupt: Kein Layout mehr. Kein wohlausgewogener Gesamteindruck von Schriftbild und Seite. Bei der Zeitungs- und Buchgestaltung kann die richtige Zeilen- und Buchstabenaufteilung echte Fitzelarbeit sein: Blocksatz so zu spationieren, dass keine großen Löcher entstehen, die das Schriftbild zerreißen. Dieses Problem gibt's bei E-Books schonmal nicht. Doch ich finde es irritierend, dass die Formatierungen variabel sind und Satzspiegel und Seitenaufteilung sich ändern. Schrift pur. Nichts sonst.

    Daran habe ich gemerkt, wie wichtig mir der Griff zum gedruckten Buch ist. Jedes ist einzeln und unverwechselbar. Schrift, Satzspiegel, Papierstärke, Dicke, die Stärke des Einbandes, Geruch, Fettflecken und Eselsohren, geben ihm etwas Unverwechselbares, Persönliches. Vermutlich wird das digitale Lesen unser Verhältnis zu Texten grundlegend verändern. In einem E-Book-Reader stecken alle Geschichten in derselben Verpackung. Für mich geht damit etwas von ihrem Glanz verloren. Wie ändert sich der Inhalt, wenn die Form beliebig ist?

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Samstag, 02.01.2016 in Lesen

  • Die Gesellschaft für Deutsche Sprache hat "Flüchtlinge" zum Wort des Jahres 2015 gewählt. Anatol Stefanowitsch setzt sich auf Sprachlog mit der Frage auseinander, ob das Wort einen abwertenden Beigeschmack hat.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Montag, 14.12.2015 in Politisches

  • Griff in die Portokasse

    Wieder einmal holt die Deutsche Post zu einem vernichtenden Schlag gegen ihren Lieblingsfeind aus: ihre Kundschaft. Genauer gesagt, die Ewiggestrigen, die immer noch Briefe schreiben und sie per Post befördern lassen wollen.

    Eigentlich postalisches Kerngeschäft, sollte man meinen. Doch es sieht immer mehr so aus, als wollte die Post das unrentable Briefgeschäft klammheimlich ausbluten lassen. Wer schon einmal mit einem dringenden Brief in der Hand die Straßen auf der Suche nach einem Briefkasten abgeklappert hat (ich weiß genau, hier war mal einer!), weiß, wovon ich rede.

    Briefkästen verschwinden einfach (Wissen Sie noch? Diese gelben Blechdinger, in die man seine Post werfen konnte, also die Papierpost meine ich). Die vorhandenen werden immer seltener geleert. Postfilialen schließen oder können, wie bei uns hier, nur überleben, weil sie sich Räume und Arbeitskräfte mit einer Textilreinigung teilen.

    n den letzten Jahren stieg das Porto in exorbitante Höhen, immer wenn man glaubte, jetzt reicht's aber, legte die Post noch was drauf. Kaum hatte ich den ersten Stapel 2-Cent-Zusatzbriefmarken abgearbeitet, mit dem man die Briefmarken aufstocken konnte, kam schon der 3-Cent-Ergänzungsstapel, den ich schließlich mit einem 5-Cent-Stapel kombinieren konnte. 

    Briefe schreiben: wird das jetzt Luxus? Verkommt das Schreiben mit der Hand zu einem Hobby der altmodischen Bildungsbürger? Briefe! Keine E-Mails! Mit der Hand, einem Füller, auf schönem Papier! Direkt Kopf – Hand – Buchstabe. Mein Vorschlag: Briefe künftig nach dem Schreiben einscannen und per Mail verschicken. Und groß den Hinweis plazieren: Bitte auf 100g-Büttenpapier ausdrucken!

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Dienstag, 08.12.2015 in Politisches, Schreiben

  • Gender live: noch eins

    "Es sollte jedem selber überlassen sein, wie er entbindet."

    (Gehört auf MDR Figaro, in einem Feature über Kaiserschnitt-Entbindungen. Anscheinend handelt es sich um ein Zitat aus einem Forum)

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Samstag, 21.11.2015 in Gender

  • Freitag, der 13.

    Aberglaube Aberglaube. Vierblättriges Kleeblatt, Lieschen fand's am Rain ...

    Aberglaube
    Vierblättriges Kleeblatt: Lieschen fand’s am Rain.
    Vor Freude, es zu haben
    Sprang Lieschen über’n Graben
    Und brach ihr bestes Bein.

    Spinnelein am Morgen: Lieschen wurd’ es heiß.
    Der Tag bracht’ keinen Kummer,
    Und abends vor dem Schlummer,
    Bracht’ Vater Himbeereis.

    Der Storch bringt nicht die Kinder,
    Die Sieben bringt kein Glück.
    Und einen Teufel gibt es nicht in uns’rer Republik!

    Dieses wunderbare Zeugnis DDR-deutscher Poesie stammt (na?) von Bertold Brecht (wer hätte das gedacht!) und geistert seit der dritten Klasse in den Kammern meines Gedächtnisses umher. Heute, am Freitag, dem 13. November 2015, hat es die Nase ins Licht gesteckt und wird an dieser Stelle allen angstbefangenen Abergläublingen präsentiert. Und wenn ich die Zeilen dem Reim gemäß umbreche: Ist es gar ein Sonett? Ein nicht ganz vollendetes?

    Nachtrag: Nach den Ereignissen dieses Abends (Charlie Hebdo) mag ich über Aberglauben nicht mehr scherzen.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Freitag, 13.11.2015 in Poesie-Debatte

  • Gender live

    Neulich bei der Tierärztin: "Sind Sie heute die Schwester?"

    "Ja", sagte der Pfleger und errötete leicht.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Dienstag, 10.11.2015 in Gender

  • Papierkorb oder Schatzkiste?

    Mein Rechner ist voll mit angefangenen und nie fertig gestellten Geschichten, Skizzen, Beschreibungen, Situationen. Lange Zeit habe ich mich deshalb schlecht gefühlt, eine Versagerin.

    Wahrscheinlich bin ich zu faul, habe zu wenig Disziplin, Phantasie, Zeit oder Geld und überhaupt bin ich keine »richtige« Schriftstellerin, denn die sehen sofort, ob Potenzial in einer Geschichte steckt, und vergeuden nicht unnütz ihre Kraft. Oder beim Schreibseminar in Wolfenbüttel, als wir über unser Schreiben nachdenken sollten. »Ich sichte zuerst meine halb fertigen Sachen«, habe ich gesagt. »Manchmal entdecke ich plötzlich das andere Ende einer Geschichte.«

    Die anderen haben vielleicht komisch geguckt. Verständnislos. Die ziehen immer jede Menge guter Einfälle aus dem Hut, ein ganzes Feuerwerk kreativer Ideen. Und ich? Wühle im Abfall! Dabei lese ich oft in meinem Steinbruch-Ordner herum und denke: Wow! Das ist gut! Das würde ich gern mal verwenden! Und immer öfter klappt das auch: Ich arbeite an einer Sache, ein Thema verdichtet sich beim Schreiben, ich denke: »Moment, da hatte ich doch was!« Und siehe da, ein bisher ungerichteter, schwebender Text passt sich nahtlos ein wie ein Puzzle-Stück.

    Heute weiß ich: Es gibt keinen Abfall. Das sind Schätze! Intuitiv habe ich alles richtig gemacht: gesammelt! Ich hatte nur eine falsche Vorstellung übers Schreiben. Inzwischen habe ich eine Schatzkiste, nur für die losen Diamanten, die ich an passenden Stellen einfügen kann und die die Geschichten zum Funkeln bringen.

    Literatur-Tipp: Hanns-Josef Ortheil: Schreiben dicht am Leben. Notieren und Skizzieren. Mannheim, Dudenverlag 2012

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Dienstag, 22.09.2015 in Schreiben

Diese Seite teilen