Poesieblog

  • Schreibschrift oder nicht Schreibschrift in der Grundschule? An ihrer Abschaffung würde vor allem die Computerlobby verdienen, erläutert die Tageszeitung taz.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Donnerstag, 25.08.2016 in Fundstücke, Sprachpolitik

  • In der causa Böhmermann/Erdogan prallten unterschiedliche Systeme der Wirklichkeitsdeutung aufeinander, befindet der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen. Um so wichtiger, eine "freie, kritische, manchmal auch angriffslustige Sprache zu bewahren, die Unrecht und Unterdrückung klar kenntlich werden lässt", so Pörksen.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Dienstag, 19.04.2016 in Fundstücke, Sprachpolitik

  • Die deutschen Medien haben die Griechenland-Krise überwiegend meinungsorientiert und wertend dargestellt. Zu diesem Ergebnis kommt 2015 eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung, die 1.442 Artikel in deutschen Tageszeitungen untersuchte. 

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Mittwoch, 13.04.2016 in Politisches

  • Baumgeschichten

    Holzwurm-Hieroglyphen. Mit Engelbild! Wer sagt denn, dass Würmer nicht schreiben können?

    »Lies!« Bücherfresser hielt Jockel einen morschen Ast hin.
    »Das ist ein Stock!«
    »Lies!«
    »Hey! Hör auf, mir damit vor der Nase rumzufuchteln!«
    Doch Bücherfresser hielt ihm das Ding unbeirrt entgegen. Jockel seufzte. »Na gut!« Er nahm ihn, drehte ihn, hielt ihn unter die Augen und fuhr schließlich mit den Fingern darüber.
    »Is ja abgefahren. Das sieht aus wie Schrift!«
    »Holzwurm-Hieroglyphen«, Bücherfresser strahlte stolz. »Wer sagt denn, dass Würmer nicht schreiben können?«
    »Kannst du das lesen?«
    »Noch nicht. Aber es gibt Dialekte. Regionale Unterschiede. Schau mal. Das hier zum Beispiel«, er zeigte auf ein besonders ausgeprägtes Relief: »ist mit großer Wahrscheinlichkeit eine Botschaft an andere, vorbeiziehende Wurmgruppen. Dieses Motiv habe ich mit nur geringfügigen Abweichungen auf 93 Prozent meiner Untersuchungsgegenstände gefunden.«
    »Und? Was schreiben die Würmer so? Hier is viel Holz vor der Hütte? Oder: Vorsicht, Specht?«
    »Ich stehe kurz vorm Durchbruch.«
    »Durchbruch. Schon klar.«

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Montag, 11.04.2016 in Schreiben, Wege durch die Stadt

  • Auf eine Zigarette

    Wenn's ernst wird, ziehen sie sich zurück auf ihre Raucherinsel.

    Nach einem Tages-Seminar "Biografisches Schreiben": Die Raucher. In Seminaren nenne ich sie gern: die Sich-Verdrücker. Wenn's ernst wird, ziehen sie sich zurück auf ihre Raucherinsel. Unbehagen? Sich auf ein Thema einlassen? Erstmal eine rauchen! Draußen sitzen sie und schwatzen und bringen meine kunstvolle Hinführungs-Architektur zum Rieseln. Beim Reinkommen sind sie übertrieben leise ("Pscht!"), nehmen probeweise den Stift. Sagen halblaut in die Runde: "Nee. Das geht nicht. Ich kann einfach nicht auf Kommando schreiben." Grrr!

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Mittwoch, 06.04.2016 in Schreiben

  • ... meint Raimund Fellinger, Cheflektor des Suhrkamp-Verlages in der Süddeutschen.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Dienstag, 23.02.2016 in Schreiben

  • E-Book oder Papierbuch?

    Der Weihnachtsmann (danke Mutti!) hat mir einen E-Book-Reader beschert.

    Weil ich inzwischen tief im Lesebrillen-Alter stecke, war ich angetan von der Möglichkeit, Geschriebenes so lesefreundlich zu machen, wie ich es brauche: die Buchstaben zu vergrößern, eine andere Schrift einzustellen oder das Display zu beleuchten. Zudem reizt mich die Möglichkeit, mit Hyperlinks einen Text mehrdimensional aufzufächern. Und nicht zuletzt der praktische Aspekt: Wer will schon auf längeren Reisen einen Stapel fette Schwarten mit sich herum schleppen?

    Auf dem Reader waren unendlich viele, gemeinfreie Bücher vorinstalliert, ich entdeckte Rilke-Gedichte und schmökerte los. Und musste schnell die Brille wieder rausholen, denn wenn ich die Schrift größer stellte, gab's mitten in der Verszeile einen Zeilenumbruch. Und das geht ja nun garnicht! Sakrileg!

    Überhaupt: Kein Layout mehr. Kein wohlausgewogener Gesamteindruck von Schriftbild und Seite. Bei der Zeitungs- und Buchgestaltung kann die richtige Zeilen- und Buchstabenaufteilung echte Fitzelarbeit sein: Blocksatz so zu spationieren, dass keine großen Löcher entstehen, die das Schriftbild zerreißen. Dieses Problem gibt's bei E-Books schonmal nicht. Doch ich finde es irritierend, dass die Formatierungen variabel sind und Satzspiegel und Seitenaufteilung sich ändern. Schrift pur. Nichts sonst.

    Daran habe ich gemerkt, wie wichtig mir der Griff zum gedruckten Buch ist. Jedes ist einzeln und unverwechselbar. Schrift, Satzspiegel, Papierstärke, Dicke, die Stärke des Einbandes, Geruch, Fettflecken und Eselsohren, geben ihm etwas Unverwechselbares, Persönliches. Vermutlich wird das digitale Lesen unser Verhältnis zu Texten grundlegend verändern. In einem E-Book-Reader stecken alle Geschichten in derselben Verpackung. Für mich geht damit etwas von ihrem Glanz verloren. Wie ändert sich der Inhalt, wenn die Form beliebig ist?

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Samstag, 02.01.2016 in Lesen

  • Die Gesellschaft für Deutsche Sprache hat "Flüchtlinge" zum Wort des Jahres 2015 gewählt. Anatol Stefanowitsch setzt sich auf Sprachlog mit der Frage auseinander, ob das Wort einen abwertenden Beigeschmack hat.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Montag, 14.12.2015 in Politisches

  • Griff in die Portokasse

    Wieder einmal holt die Deutsche Post zu einem vernichtenden Schlag gegen ihren Lieblingsfeind aus: ihre Kundschaft. Genauer gesagt, die Ewiggestrigen, die immer noch Briefe schreiben und sie per Post befördern lassen wollen.

    Eigentlich postalisches Kerngeschäft, sollte man meinen. Doch es sieht immer mehr so aus, als wollte die Post das unrentable Briefgeschäft klammheimlich ausbluten lassen. Wer schon einmal mit einem dringenden Brief in der Hand die Straßen auf der Suche nach einem Briefkasten abgeklappert hat (ich weiß genau, hier war mal einer!), weiß, wovon ich rede.

    Briefkästen verschwinden einfach (Wissen Sie noch? Diese gelben Blechdinger, in die man seine Post werfen konnte, also die Papierpost meine ich). Die vorhandenen werden immer seltener geleert. Postfilialen schließen oder können, wie bei uns hier, nur überleben, weil sie sich Räume und Arbeitskräfte mit einer Textilreinigung teilen.

    n den letzten Jahren stieg das Porto in exorbitante Höhen, immer wenn man glaubte, jetzt reicht's aber, legte die Post noch was drauf. Kaum hatte ich den ersten Stapel 2-Cent-Zusatzbriefmarken abgearbeitet, mit dem man die Briefmarken aufstocken konnte, kam schon der 3-Cent-Ergänzungsstapel, den ich schließlich mit einem 5-Cent-Stapel kombinieren konnte. 

    Briefe schreiben: wird das jetzt Luxus? Verkommt das Schreiben mit der Hand zu einem Hobby der altmodischen Bildungsbürger? Briefe! Keine E-Mails! Mit der Hand, einem Füller, auf schönem Papier! Direkt Kopf – Hand – Buchstabe. Mein Vorschlag: Briefe künftig nach dem Schreiben einscannen und per Mail verschicken. Und groß den Hinweis plazieren: Bitte auf 100g-Büttenpapier ausdrucken!

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Dienstag, 08.12.2015 in Politisches, Schreiben

  • Gender live: noch eins

    "Es sollte jedem selber überlassen sein, wie er entbindet."

    (Gehört auf MDR Figaro, in einem Feature über Kaiserschnitt-Entbindungen. Anscheinend handelt es sich um ein Zitat aus einem Forum)

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Samstag, 21.11.2015 in Gender

  • Freitag, der 13.

    Aberglaube Aberglaube. Vierblättriges Kleeblatt, Lieschen fand's am Rain ...

    Aberglaube
    Vierblättriges Kleeblatt: Lieschen fand’s am Rain.
    Vor Freude, es zu haben
    Sprang Lieschen über’n Graben
    Und brach ihr bestes Bein.

    Spinnelein am Morgen: Lieschen wurd’ es heiß.
    Der Tag bracht’ keinen Kummer,
    Und abends vor dem Schlummer,
    Bracht’ Vater Himbeereis.

    Der Storch bringt nicht die Kinder,
    Die Sieben bringt kein Glück.
    Und einen Teufel gibt es nicht in uns’rer Republik!

    Dieses wunderbare Zeugnis DDR-deutscher Poesie stammt (na?) von Bertold Brecht (wer hätte das gedacht!) und geistert seit der dritten Klasse in den Kammern meines Gedächtnisses umher. Heute, am Freitag, dem 13. November 2015, hat es die Nase ins Licht gesteckt und wird an dieser Stelle allen angstbefangenen Abergläublingen präsentiert. Und wenn ich die Zeilen dem Reim gemäß umbreche: Ist es gar ein Sonett? Ein nicht ganz vollendetes?

    Nachtrag: Nach den Ereignissen dieses Abends (Charlie Hebdo) mag ich über Aberglauben nicht mehr scherzen.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Freitag, 13.11.2015 in Poesie-Debatte

  • Gender live

    Neulich bei der Tierärztin: "Sind Sie heute die Schwester?"

    "Ja", sagte der Pfleger und errötete leicht.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Dienstag, 10.11.2015 in Gender

  • Papierkorb oder Schatzkiste?

    Mein Rechner ist voll mit angefangenen und nie fertig gestellten Geschichten, Skizzen, Beschreibungen, Situationen. Lange Zeit habe ich mich deshalb schlecht gefühlt, eine Versagerin.

    Wahrscheinlich bin ich zu faul, habe zu wenig Disziplin, Phantasie, Zeit oder Geld und überhaupt bin ich keine »richtige« Schriftstellerin, denn die sehen sofort, ob Potenzial in einer Geschichte steckt, und vergeuden nicht unnütz ihre Kraft. Oder beim Schreibseminar in Wolfenbüttel, als wir über unser Schreiben nachdenken sollten. »Ich sichte zuerst meine halb fertigen Sachen«, habe ich gesagt. »Manchmal entdecke ich plötzlich das andere Ende einer Geschichte.«

    Die anderen haben vielleicht komisch geguckt. Verständnislos. Die ziehen immer jede Menge guter Einfälle aus dem Hut, ein ganzes Feuerwerk kreativer Ideen. Und ich? Wühle im Abfall! Dabei lese ich oft in meinem Steinbruch-Ordner herum und denke: Wow! Das ist gut! Das würde ich gern mal verwenden! Und immer öfter klappt das auch: Ich arbeite an einer Sache, ein Thema verdichtet sich beim Schreiben, ich denke: »Moment, da hatte ich doch was!« Und siehe da, ein bisher ungerichteter, schwebender Text passt sich nahtlos ein wie ein Puzzle-Stück.

    Heute weiß ich: Es gibt keinen Abfall. Das sind Schätze! Intuitiv habe ich alles richtig gemacht: gesammelt! Ich hatte nur eine falsche Vorstellung übers Schreiben. Inzwischen habe ich eine Schatzkiste, nur für die losen Diamanten, die ich an passenden Stellen einfügen kann und die die Geschichten zum Funkeln bringen.

    Literatur-Tipp: Hanns-Josef Ortheil: Schreiben dicht am Leben. Notieren und Skizzieren. Mannheim, Dudenverlag 2012

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Dienstag, 22.09.2015 in Schreiben

  • Das, dass, daß und der Sprachwandel

    Das ß wurde oft tot gesagt und hat doch überlebt. Dass (Das?) das deutsche Alphabet einmal in Schreib- und Druckschrift zwei kleine S unterschied, weiß heute kaum jemand, und so hat das ß eine Umdeutung erfahren: aus zwei wurde eins.

    Ob ich Probleme hätte, wenn alle Beiträge der Anthologie in der alten Rechtschreibung abgedruckt würden – also auch meiner, fragte ein Verleger, dem ich einen Text eingereicht hatte. Zwar schriebe ich sowieso vieles nach der alten, doch Eingriffe in meine Orthografie lehnte ich grundsätzlich ab, antwortete ich und fragte nach: Ob z.B. in der Ausgabe die Konjunktion »dass« oder andere Worte mit kurzem Stammvokal (Schluss, Stuss, muss) mit »ß« geschrieben würden?

    »Wir schreiben grundsätzlich daß«, schrieb der Verleger zurück, »wir haben ebenfalls klare Vorstellungen was ›richtig‹ ist«.

    Hiermit möchte ich betonen - Ich habe keine klaren Vorstellungen, was »richtig« ist. Im Gegenteil: Kategorien wie »richtig« oder »falsch« lehne ich für die Sprache ab. Ich entscheide, was ich für sinnvoll halte und dann schreibe ich so. In Seminaren, bei Lektoraten oder auf meiner Homepage biete ich mein Sprachwissen an. Keinesfalls würde ich anderen meine »Vorstellungen« aufzwingen, wenn ich merke, sie wissen, wovon sie schreiben.

    Sprachliche Regeln sind sinnvoll, denn sie dienen der Verständigung, vor allem, wenn sich alle nach demselben Regelsystem richten. Aber Regeln sind starr und die Wirklichkeit überholt sie. Immer! Deshalb müssen sie hinterfragt, und, wenn sie keinen Sinn mehr machen, gebrochen werden – denn von allein ändert sich nix. Regelverstöße müssen für mich sinnvoll sein und gut begründet werden, wer die Regeln überwinden will, muss sie kennen.

    Wir Berufs-SchreiberInnen haben eine besondere Verantwortung zur Sprachpflege. Ein »Das ist richtig so« (meint: ich richte mich nach einem Regelsystem, das u.U. starr und unbeweglich ist und das ich nicht hinterfragt habe) würde ich, z.B. als Korrektorin, nicht gelten lassen. Wenn ein Verlag so argumentiert, finde ich das – nunja – erschreckend. Sprachwandel folgt Gesetzen, und die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen.

    Das ß stammt aus einer anderen Schreibepoche und wird heute anders interpretiert als damals, nämlich als ein Buchstabe. Tatsächlich ist es ursprünglich ein Doppelbuchstabe und entstand aus der deutschen Schrift, die vor über 70 Jahren (1941) abgeschafft wurde. (Hitler nannte die deutsche Schrift übrigens abfällig »Schwabacher Judenlettern«, nehmt DAS, ihr Frakturfreunde und »Tod-allen-Kinderschändern«-Nazis!). Heute hat das ß vor allem einen Lautwert (scharfes S) und wird nach langen Vokalen (z.B. Diphthongen) z.B. am Wortende geschrieben: ich weiß, heiß.

    Auch die letzte Rechtschreib-Reform ist schon wieder mehr als zwei Jahrzehnte her (1995). Damals hatte man zunächst dafür plädiert, das ß ganz abzuschaffen, im Englischen (oder anderen Sprachen) komme es nicht vor, so das Argument. Doch das ß ist immer noch da. Sprachwandel eben. Einige der ehemals strikten Regeln sind aufgeweicht und der Schriftgebrauch hat sich dem Sprachgefühl angenähert – zum Beispiel bei der Konjunktion »dass«, wo der kurze Stammvokal inzwischen regelhaft mit Doppelkonsonant gekennzeichnet wird. Das hat sich eingebürgert, und ich finde das gut.

    Warum allerdings der Artikel »das« mit einem »s« geschrieben wird, leuchtet mir nicht ein. Auch wenn bei häufig verwendeten (stark frequentierten) Wörtern Ausnahmen oder Unregelmäßigkeiten eher toleriert werden als bei seltenen.

    (Anmerkung: Warum bei diesem Wort die Kennzeichnung der grammatischen Funktionen, nämlich »dass« als Konjunktion: »Ich sehe, dass das Haus an der Ecke steht«, und »das« als Artikel/Relativpronomen »Ich sehe das Haus, das an der Ecke steht«? Unnötig kompliziert! Für Schnell- und Vielschreiber ist die Trennung von »dass« und »das« eine ständige Fehlerquelle. Auch für mich – und ich kenne die Regeln! Logischer und einfacher wäre, beide Wortarten gleich zu scheiben und zwar (kurzer Stammvokal) mit Doppel-S (»dass«). Anmerkung 2: Allerdings müsste dann auch ess (statt es) oder mann (statt man) geschrieben werden. Ersteres kommt bestimmt irgendwann, letzteres ganz sicher nicht. Anmerkung 3: Die Variante: »Ich sehe, das das Haus an der Ecke steht« ist mir sympathischer. Das Doppel-S ist die sehr spezielle (= markierte) Form und die LeserInnen würden das Wort zuerst als Konjunktion interpretieren, auch wenn nur der Artikel steht.)

    Die Geschichte des »ß« Seit ihrer Abschaffung 1944 wird die (alte) deutsche Schrift nur noch vereinzelt geschrieben. Dass (Das?) das deutsche Alphabet einmal in Schreib- und Druckschrift zwei kleine S unterschied, weiß heute kaum noch jemand, und so hat das ß eine Umdeutung erfahren: Aus zwei wurde eins. Nur so konnte das ß überleben. Entstanden ist es aus der Ligatur (Verschmelzung) zweier Buchstaben, also als Doppelkonsonant. Genauer gesagt flossen zwei unterschiedliche kleine S zusammen, nämlich: ʃ und ɕ. (Deshalb gibt es das ß bislang nur als kleinen Buchstaben).

    Eine Ligatur diente der Verkürzung und funktionierte nur, wenn die Buchstaben tatsächlich in der entsprechenden Reihenfolge standen. Und das war nicht immer der Fall. Und jetzt folgt exklusiv die Erklärung, wann man in der deutschen Schrift welches S benutzt hat. Gefunden habe ich das in: Helmut Delbanco: Schreibschule der deutschen Schrift, herausgegeben vom Bund für deutsche Schrift und Sprache e.V. (2014, 9. Auflage):

    ɕ (das End-S) stand am Wortende, am Ende eines Teilwortes und vor Nachsilben wie -lein, -chen, -haft, -bot, -heit, und -lich, weil diese sinntragenden Nachsilben als Teilwörter galten. Das ʃ stand überall, wo das End-S nicht stand, also: - am Wort- und Silbenanfang, - im Inneren eines Wortes (z.B. auch in Buchstabenkombinationen wie -sch-, -sp-, -st-) Die Kombination [ʃɕ] stand demnach, wenn das zweite S ein Wort oder Teilwort abschloss: Faʃɕ, Kuʃɕ, ich muʃɕ, Imbiʃɕbude, ich saʃɕ, miʃɕ-achten, Gewiʃɕ-heit, daʃɕ, Täʃɕ-chen, eʃɕ-bar, häʃɕ-lich (heute: Fass, Kuss, ich muss, Imbissbude, ich saß, missachten, Gewissheit, dass, Tässchen, essbar, hässlich) Und: Für [ʃɕ] durfte in der deutschen Schrift immer ß geschrieben werden.

    Wie gesagt: Das ist unglaublich lange her. Geschrieben wurde damals mit einer Feder, die in ein Tintenfass getunkt wurde, auch Schreibmaschinen existierten bereits. Die Kinder lernten auf Schiefertafeln schreiben. Füller mit Tintenpatronen, Kugelschreiber oder gar Computer waren nicht in Sicht. Kaum vorstellbar. Meinen Text habe ich übrigens zurückgezogen. Aber gut, das wir drüber geredet haben. Und schön, das, dass und daß die Sprache so bunt sein kann.

    Noch eine Literaturempfehlung zu dem Thema: Frank Müller: ß. Ein Buchstabe wird vermisst. Eichborn-Verlag, Frankfurt a.M., 2008

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Sonntag, 02.08.2015 in Gutes Deutsch, Schreiben

  • der opportunist

    ich habe extra alles kleingeschrieben, damit man sieht, dass es ein gedicht ist ...

    formfehler

    wer bin ich?
    sei einfach du selbst!
    ich bin, wie ich bin!
    – und er passte sich
    den unangepassten
    an.

    doch seine anpassung
    passte ihnen nicht,
    und ins unangepasst-sein
    passte er nicht rein.
    also drückte er sich

    beide augen zu.
    schnürte sich,
    engte sich,
    zwängte sich
    ins erdreht verstellte leben.

    und zwischen ich und über-ich
    verpasste er sich.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Samstag, 18.07.2015 in Politisches

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