Poesieblog

  • Literarische Bildung: Das Wie, das Warum und das Trotzdem

    Der Thüringer Literaturrat lud am 11. Oktober 2024 zum 5. Fachtag ins Erfurter Kultur: Haus Dacheröden

    Kuschlige Selbstbestätigung einer kleinen und privilegierten Elite? Oder notwendige Debatte in einem gravierenden gesellschaftlichen Wandel? Nach Utopie und Wirklichkeit der literarischen Bildung fragte der fünfte Thüringer Fachtag Literatur, den der Thüringer Literaturrat am 11. Oktober 2024 ausgerichtet und den die Thüringer Staatskanzlei gefördert hatte. Das Thema lockte zahlreiche Interessierte ins Erfurter Kultur: Haus Dacheröden: Schreibende, Lehrende und Lernende aus Schulen, Universitäten und Bibliotheken, aus der Verwaltung und der Politik. Alle einte die Nähe zum und die Freude am Buch und dem gedruckten Wort.

    Wie entsteht literarische Bildung? Welche Faktoren begünstigen, welche hemmen die Freude am Lesen? Gibt es »gutes« und »schlechtes Lesen«? Fressen die modernen Medien unsere schöne Lesetradition und machen die Buchkultur kaputt? Und wenn ja – was wird dann aus der Gesellschaft? Zwei Referenten und eine Referentin beleuchteten das Thema: die Literaturwissenschaftler Christof Hamann und Cornelia Rosebrock sowie der Germanist und Philosoph Jan Philipp Reemtsma. Am Nachmittag rundete eine Podiumsdiskussion den Tag ab. Für Debatten stand ausreichend Zeit zur Verfügung und die Anwesenden ergriffen gern das Wort, um eigene Erfahrungen und Wertungen einzubringen. Die Journalistin Blanka Weber moderierte die Veranstaltung.

    Zur Begrüßung bedankte sich Jörg Dietrich, Vorsitzender des Thüringer Literaturrates, beim Noch-Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff für die gute Zusammenarbeit. In den vergangenen Legislaturperioden habe die Landesregierung die Rahmenbedingungen für die Kultur im Freistaat entscheidend verbessert, so Dietrich.

    »Die Zusammenarbeit war mir eine Ehre und ein Vergnügen«, erwiderte Hoff. In seinem Grußwort plädierte er für mehr Zuversicht, auch und gerade in Bezug auf das Lesen. Denn gerade jetzt, nach jahrelangen apokalyptischen Nachrichten zum Leseverhalten, erlebe man eine Renaissance des Lesens, führte der geschäftsführende Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei aus. Allerdings in einer neuen Form: als Teil einer übergreifenden Medienkompetenz. Damit müsse man arbeiten, auch wenn es nicht die sei, »die wir uns wünschen«. Diese Lesekompetenz müsse mit literarischer Kompetenz verknüpft werden.

    Hoff sieht dafür auch Bedarf: Viele Jugendliche klagten über einen Data-Overflow und nähmen gern die Möglichkeiten des Rückzugs an, die Bücher bieten könnten. »Wir müssen die Zukunft neu sehen«, forderte Hoff: nicht als Trichter, der sich in Richtung Zukunft verenge, sondern als umgekehrten Trichter, der sich für unzählige neue Möglichkeiten und Wege öffne. »Ich wünsche uns Zuversicht«, schloss er.

    Üben und Scheitern

    »Ich bin zuversichtlich«, begann Professor Christof Hamann, der an der Universität Köln Theorie und Praxis des professionellen literarischen Schreibens unterrichtet, zudem selbst Schriftsteller ist und die Literaturzeitung »die horen« mit herausgibt. In seinem Vortrag, der sich auf seine Erfahrungen als Lehrender stützt, konzentrierte sich Hamann auf zwei Schwerpunkte: das Üben und das Scheitern. Spätestens seit Michel Foucault habe das Üben den Beigeschmack von Drill und Dressur. Doch Übung kann auch Selbstermächtigung sein. Wiederholung schafft Gewohnheiten. Techniken werden verinnerlicht. Sein Vorschlag an die Studierenden: So lange üben wie nötig – und dann das Geübte hinter sich lassen.

    Auch das Scheitern gehöre zum Schreiben. Jedes Scheitern gebiert ein weiteres Scheitern, ein Prozess, der offen und gesetzlos verläuft. Ein Schreibprozess sei nie zu Ende, das müsse man lernen, am eigenen Leib üben und erfahren, betont er und zitiert Samuel Beckett und Lauren Groff, Charles Pépin, Marcel Proust und Hans Magnus Enzensberger. Ein Scheitern einzugestehen, verändert die Dynamik in einem Produktionsprozess, verzögert, verlangsamt und verlangt ein Überarbeiten, wieder und wieder. Seine Aufgabe als Lehrender: nach der Kritik die Revision einzufordern und neue Möglichkeiten aufzuzeigen.

    Über den schmalen Grat zwischen Aufgeben und Weitermachen sprach Hamann nicht. Was zeichnet einen guten Autor aus? Dass er bereit und in der Lage ist, alles in Frage zu stellen und neu zu betrachten. Dazu gehört die Bereitwilligkeit, sich selbst zu redigieren, so Hamann. Das Kürzen fällt gerade Schreibanfängern schwer. Auch das übt er mit seinen Studierenden.

    »Wann kann man einen Text loslassen? Wann ist er fertig?«, so eine dringende Frage aus dem Publikum. Hamann empfahl den Blick von außen: »Zum Schreiben gehört das Gelesenwerden«.

    Tja, die Lesekompetenz …

    Doch wer frisst sich heute noch durch »analoge« Papierschwarten? Bevorzugt die im Medienwechsel sozialisierte Generation nicht die digitalen Mini-Portionen der Social- Media-Kanäle? Cornelia Rosebrock ging auf die Bedingungen ein, in der die Freude an Literatur entsteht. Die Professorin, die bis 2023 an der Johann Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt a.M. neuere deutsche Literaturwissenschaft mit den Schwerpunkten Lesesozialisation und Literaturdidaktik gelehrt hatte, sprach über »Literarische Sozialisation zwischen Technokratie und Social Media: das Unzeitgemäße des Literaturunterrichts«.

    Nach der Familie, in der die »primäre literarische Initiation« erfolgt, sei die Schule die entscheidende Instanz der literarischen Sozialisation, betonte Rosebrock. Dort jedoch habe sich ein funktional-technischer Lesebegriff etabliert; man will die Leseeffekte messen. Statt Lektüre als Spiel von rationaler Lebensbewältigung, Unterhaltung und Ganzheitserfahrung zu sehen, fokussiert der Unterricht auf die Lebensbewältigung und auf eine Lesekompetenz, die der Definition der OSZE entspricht: die Fähigkeit, »geschriebene Texte zu verstehen, zu nutzen und über sie zu reflektieren, um eigene Ziele zu erreichen, das eigene Wissen und Potenzial weiterzuentwickeln und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen«.

    Dafür werden seit dem PISA-Schock Strategien vermittelt wie Textstellen markieren, wiederholen, vergleichen, gliedern, nachschlagen, zusammenfassen und von vornherein genug Zeit einplanen. Das Konzept ging auf – zumindest zum Teil. Seit 2018 sind die Kinder, die unser Bildungssystem durchlaufen, Weltspitze im Strategiewissen. Und die Lesekompetenz? »Generell lässt sich (…) festhalten, dass die großen Hoffnungen (…), die immer wieder an die Strategieinstruktion geknüpft werden, sich in der Realität nicht erfüllen«, zitiert Rosebrock den Psychologen Professor Wolfgang Lenhard.

    Doch wie wird aus einem Kind, das für Harry Potter schwärmt, ein erwachsener Leser? Nach dem Erwerb der Schriftsprache in der Schule folge eine Phase der »lustvollen Kinderlektüre«. Wie die Raupe Nimmersatt arbeitet es sich durch die Bücherschränke der Eltern und Verwandten und der Schul- und Kinderbibliotheken. Allerdings: Ein Drittel aller Kinder komme nicht mehr in diese Viellesephase. Und in der Pubertät springt ein weiteres Drittel der Vielleser ab, so Rosebrock.

    Wegen der modernen Medien? Seit 1998 habe sich der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die täglich oder mehrmals pro Woche in gedruckten Büchern lesen, nicht signifikant geändert. Und auch heute würden lange Texte tendenziell nicht am Bildschirm rezipiert, erläutert die Professorin. Das »deep reading« genannte Eintauchen in den Text kommt am Bildschirm nicht zustande. Und wann lernt eine Leserin diese Selbstversenkung? In der Raupenphase als Bücherfresser.

    Wir brauchen mehr Literatur im Literaturunterricht und in den Fächern, schloss Cornelia Rosebrock. Wir brauchen gute Schulbibliotheken. Und wir brauchen einen Raum, in dem sich das Potenzial von Literatur entfalten kann – ohne dass ständig eine Messlatte angelegt wird.

    Von Zwecken und von Nutzen

    »Literarische Bildung dient keinem Zweck – oder: Wo die Reihe der Zwecke aufhört, liegt das Glück«, hatte Professor Jan Philipp Reemtsma seinen Vortrag genannt. Die Anwesenden freuten sich auf den bekannten Kulturtheoretiker und großen Denker, ein Gleichgesinnter und Verbündeter, der das gedruckte Wort hochhielt und interessante Anregungen und zum Denken provozierende Happen servieren würde, glaubte man.

    Servieren? Nein. Provozierend? In der Tat. Wie hoch Reemtsma das gedruckte Wort hielt, zeigte sich im ersten Teil seines Vortrages. Akribisch zerpflückte er den Einladungstext zum Fachtag und ging hart mit den Organisatoren der Veranstaltung ins Gericht. Etymologisch ist ein Zweck auch der Nagel im Zentrum einer Zielscheibe – und Reemtsma zielte gut. Die Zuhörenden erstarrten. Ein in der Eile der Vorbereitungen rasch hingeworfener und flüchtig gelesener Flyertext – und man fühlte sich mitertappt in Meinungen und Vorurteilen, die man aus den Tiefen einer DDR-Bildung in blinden Flecken mit sich herumgetragen und nicht nachrecherchiert hatte.

    Die Idee, dass das Lesen von Literatur einen Zweck habe, sei eine sehr moderne und hilflose Idee, fuhr Reemtsma mit seinem Thema fort. Literatur (und Theater) könnten keine politische Meinung vermitteln und keine politische Haltung verändern, sondern allenfalls bestätigen. »Wer anderer Meinung ist, ärgert sich und geht«, sagte er. Manchmal allerdings, räumte er ein, könne die richtige Geschichte zur richtigen Zeit »eine Latenz transferieren«.

    Kunst und Literatur sollten als soziale Tatsachen verstanden werden, nicht als Zwecksetzungen und Nutzen. Was zur Lehre taugt, entpuppt sich als »unterkomplex« und literarisch minderwertig. Komplexität bestimmt eine Literatur, die unmöglich auf Botschaften zu reduzieren sei.

    Doch was genau ist ein Zweck: Der Nutzen? Ein Ziel? Eine Absicht? Der Sinn von allem? Beginnt nicht jeder künstlerische Prozess mit einer konkreten Intention? Und wächst daraus nicht die Motivation, in einen langen Prozess einzusteigen, dessen Ausgang und finanzieller Ertrag in den meisten Fällen ungewiss bleibt? Oder liegt der Zweck, also der Nutzen, im Auge des Betrachters und wird dem Kunstwerk von außen als Aufgabe zugewiesen? Kurz verwies Reemtsma auf Immanuel Kant und meinte wohl dessen Definition vom Zweck als objektivem Bestimmungsgrund eines Objekts und zugleich dem Grund seiner Wirklichkeit.

    Den anwesenden Praktikern blieb bei der Unschärfe des Begriffs die eigene Deutung freigestellt. Die einen reagierten begeistert, vor allem, wenn sie im Literaturbetrieb mit einem ständigen Nutzenkalkül konfrontiert werden. »Für mich war das die absolute Befreiung«, sagte eine Schriftstellerin in der Pause. »Literatur hat keinen Zweck – aber jeder soll sein Vergnügen finden.« Andere fühlten sich vor den Kopf gestoßen. Woher in einer permanent prekären Situation die tägliche Kraft fürs Schreiben, die Begeisterung fürs Unterrichten nehmen, wenn ja alles doch keinen Sinn macht?

    Denn, so Reemtsma am Ende seines Vortrags: Literarische Bildung sei eine elitäre Angelegenheit. Sie sich anzueignen, stelle ein Privileg dar, das nur einer Minderheit zuteilwerde. Dieses Privileg sei nicht zu feiern, sondern zur Kenntnis zu nehmen. Reemtsma sprach von »aufgeregter Gruppeneinheit«, die einen »Weltzugang simuliert« um das »Echo der gemeinsamen Stimmen zu verstärken, damit sie sich geborgen fühlen.«

    Die Zuhörer reagierten zunächst verhalten-freundlich. Man bedankte sich für die Anregungen. Unbedingt werde man die Ringparabel in Lessings »Nathan«, auf die Reemtsma eingegangen war, noch einmal lesen. Nur langsam regte sich Widerspruch, den Reemtsma elegant parierte. Was wäre eine Welt ohne Kunst? »Ich fürchte, der Unterschied wäre kaum zu merken.« Wie verändern sich Einstellungen? »Irgendwie.« Was gibt uns berufliche Gewissheiten? »Es gibt keine Gewissheit. Ob Sie zuversichtlich sind oder nicht, ist vollkommen belanglos.«

    Angehende Deutschlehrer wollen wissen, warum sie unterrichten, forderte Iris Winkler schließlich. Winkler ist an der Universität Jena Professorin für Fachdidaktik Deutsch. Das »Warum« des Literaturunterrichtes in der Institution Schule sollte nicht darin bestehen, zu sagen, »das ist für etwas anderes gut«, erwiderte Reemtsma. Schulunterricht schaffe keine literarische Bildung. Vielmehr biete diese eine bestimmte kulturelle Erschließung der Wirklichkeit. Literatur öffne einen kulturellen Raum, der es ermöglicht, unsere Welt zu verstehen.

    In der Pause wurden die Debatten fortgeführt: beim Essen, beim Frische-Luft-Schnappen und beim Rauchen, in den Fluren und auf der Toilette. Reemtsma hatte polarisiert und mit einem Knall Hoffnungen und Zuversichten entzaubert. Kein Gedanke daran, in Larmoyanz zu versinken, in Klagen über die ach-so-literaturfeindliche Zeit auszubrechen.

    Reemtsma hatte ans Licht gehoben, was in der Branche längst ein alter Hut ist, doch im Alltag beiseitegeschoben werden muss: dass momentan ein Medienwechsel unsere Welt tiefgreifend verändert. Die Literaturleute können nur versuchen, ihr Boot seetüchtig zu machen. Und sich gut festhalten, damit auf der anderen Seite der Niagarafälle viele unterschiedliche Stimmen ein Wissen über literarische Traditionen, über Chancen und Grenzen des analogen Buchdruck-Zeitalters in die Zukunft tragen. Ist es denn verwerflich, nicht sofort alles über Bord zu werfen? Wer gegen den Mainstream schwimmt, kann nicht gebrauchen, dass man ihm die Nutzlosigkeit seines Tuns vor Augen hält.

    Literarische Geselligkeit

    Die Podiumsdiskussion brachte einen neuen Ton. Neben der Moderatorin Blanka Weber und Hamann, Rosebrock und Reemtsma saß die Theatermacherin Kara McKechnie im Podium, die seit 2022 Dramaturgin an der Oper Leipzig und zudem Autorin und Übersetzerin ist. Sie schilderte, wie ein Stoff in die Oper kommt: Langsam, denn eine Institution bewegt sich schwerfällig wie ein Ozeandampfer. Bis zu zweieinhalb Jahre dauere es, bis ein Stück in Probennähe kommt. Zudem erstreckt sich die Auswahl zwischen dem überschaubaren Kanon der Opern, die gespielt werden, und dem Erwartungshorizont des Publikums. Die freie Szene kann schneller reagieren – »das bedauern wir oft«, sagte McKechnie.

    Das Thema Medienwechsel und Künstliche Intelligenz (KI) bestimmte schnell erneut die Debatte. »Kommt uns das verstehende Lesen abhanden?«, fragte Blanka Weber. Eine Prognose sei nicht abzugeben und die eigene Phantasie begrenzt, lauteten die Antworten.

    »Gewonnen haben wir immerhin, dass die junge Generation über eine hohe Englisch-Kompetenz verfügt«, warf Reemtsma ein. Und dass mit Hilfe der KI sehr schnell und ohne Wörterbücher übersetzt werden könne. Bei jeder neuen Technologie regten sich Widerstände. Auch bei der Einführung der Eisenbahn habe man vor den kulturellen und gesundheitlichen Folgen für die Menschen gewarnt.

    Beim Bau der Eisenbahn stellten sich die Ressourcen als Problem heraus – das ist heute nicht anders. Was niemand sagte: Die neuen Medien regiert, wer den Zugriff auf die seltenen Erden hat, aus denen die Chips bestehen, auf die Infrastruktur und auf die Energie, mit denen die Server betrieben werden. Damit bleibt auch die Nutzung der digitalen Medien das Privileg einer Elite.

    Und das Resümee des Tages? Jan Philipp Reemtsma überlegte. »Offen sein, die eigene Haltung zu überprüfen«, sagte er schließlich. »Und ernst nehmen, was man tut – sonst kann man’s gleich lassen.« »Für die Gesellschaft mag Literatur nicht wichtig sein. Für mich schon«, ergänzte Christof Hamann. Cornelia Rosebrock wünschte sich mehr literarische Geselligkeit. »Wir müssen neue Formen des literarischen Beisammenseins entwickeln« – der Fachtag sei ein schöner Anlass. »Das Tun ist das, was uns am Leben hält«, beendete Kara McKechnie. Und gab damit den Zuhörern und Teilnehmern ein »Trotzdem« auf den Weg – und Zuversicht.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Montag, 25.11.2024

  • EVA in der Zeitung

    Buchtipp in der Thüringer Allgemeinen

    In der heutigen TA (12. September 2024) stellt Karsten Jauch unser Buch "Eva träumt nicht mehr" vor. Und morgen ist die Buchpremiere! Ich bin schon sehr aufgeregt!

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Donnerstag, 12.09.2024

  • Eva kommt: Interview auf Radio F.R.E.I.

    Anke Engelmann plaudert übers kreative Schreiben, über die Anthologie "Eva träumt nicht mehr" und die Buchpremiere am 13. September.

    Interview Radio F.R.E.I.

    Am 13. September kommt Eva. Am 9. September kam dazu ein Interview. Exklusiv auf Radio R.R.E.I. Vielen Dank an Reinhard Hucke!

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Dienstag, 10.09.2024

  • EVA kommt!

    Es ist vollbracht! Am 13. September findet im Kultur: Haus Dacheröden die Buchpremiere zu unserer Anthologie »Eva träumt nicht mehr« statt. Darin Erzählungen und Gedichte, die von 2018 bis 2023 im Erfurter Kultur: Haus Dacheröden beim »Kreativen Schreiben« entstanden sind.

    Eine mutige Frau im Schwimmbad. Ein Drehstuhl namens »Svindelik«. Zwei Kastanien, die als Filmstars vor der Kamera stehen. Ein Saugroboter, eine Tasche voller Geld, ein tyrannischer Toilettenmann: Die Auswahl versammelt Erzählungen und Gedichte, die von 2018 bis 2023 im Erfurter Kultur: Haus Dacheröden beim »Kreativen Schreiben« entstanden sind. Zu entdecken sind ganz unterschiedliche literarische Stimmen. Sie wollen Lesevergnügen bereiten und Lust machen, selbst zum Stift zu greifen.

    Texte von:
    Simone Börner | Ursula Bultmann | Rita Dorn | Anke Engelmann | Rainer Franke | Friederike Franz | Julia Herz | Katharina Hülle | Christina Schüler

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Mittwoch, 24.07.2024

  • Gateless writing

    Geschützter Raum, stärkenbasiertes Feedback, kein "Shitty first draw": Wertschätzende Kritik ist die Grundlage in meinen Seminaren.

    Seitdem ich kreatives Schreiben unterrichte, achte ich auf wertschätzende Kritik. Auch in Schreibwerkstätten. Schließlich regt es mich selbst sehr auf, wenn jemand nur an meiner Arbeit herumkrittelt, ohne erst einmal mit etwas Posivitem bei mir die Tür zu öffnen. Zumindest ist zunächst einmal die kreative Leistung zu loben, denn man kann nur etwas kritisieren, das überhaupt vorhanden ist. Wie mutig ist es, sein Werk der Welt zu präsentieren! Zumal, wenn es gerade geschlüpft ist und man selbst ganz dünnhäutig ist. Deshalb soll Kritik auch immer von der eigenen Wahrnehmung ausgehen und nicht allgemein-pauschal von oben herab geäußert werden. Lange dachte ich, diese Herangehensweise wäre selbstverständlich, aber leider ist sie das nicht. Im Gegenteil.

    Das heißt Gateless Writing, habe ich in der aktuellen Federwelt gelesen. Das Konzept habe die Neurowissenschaftlerin Suzanne Kingsbury entwickelt. Geschützter Raum. Klare Spielregeln. Positiver Fokus. Stärkenbasiertes Feedback. Rohdiamant statt "shitty first draw". Stress hemme den kreativen Fluss, lese ich.

    Genau! Mach ich schon seit 2011! Wie gut das tut, höre ich nicht nur von meinen Teilnehmern. Mir selber gehts auch immer richtig gut nach jedem Workshop. Ist wie Wörterbaden!

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Montag, 17.06.2024

  • Heute ist Tag der Handschrift

    Wer schreibt, bleibt, heißt es. Zum Beispiel mit einem Tagebuch.

    Zwischen Schreibendem und Geschriebenem besteht eine enge Beziehung. Das eine strahlt auf das oder die andere - und umgekehrt. Kopf und Hand sind unmittelbar verbunden, die Gedanken fließen aufs Papier - ohne Ablenkung, ohne Barriere. Schreiben hilft, sich Geschehenes zu vergegenwärtigen und es zu bewältigen. Wer mit der Hand schreibt, merkt sich das Geschriebene besser als beim Schreiben auf einer Tastatur. Mit einem Stift auf einer Unterlage Buchstaben zu Wörtern zu Sätzen zu Texten zu reihen, das hat fast etwas Meditatives. Stirbt diese Kulturtechnik aus? Was fehlt dann? Heute ist Tag der Handschrift.

    Zum Weiterlesen: Tag der Handschrift

    Acht Gründe fürs Schreiben mit der Hand

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Dienstag, 23.01.2024

  • Statt den einen Krieg zu beenden, ist nun ein zweiter ausgebrochen. Dass in der DDR Israel kein Freundesland war, sondern die Guten in Palästina saßen, wo Arafat einen Befreiungskampf kämpfte, habe ich neulich kopfschüttelnd in einer Diskussion mit meiner Mutter erfahren müssen. Zur Haltung der Linken zum Überfall der Hamas empfehle ich den sehr klugen und differenzierten Artikel von Hans-Dieter Schütt.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Mittwoch, 15.11.2023

  • Mehr Lesen! Intensiver lesen! Ausrufezeichen!

    Die Zukunft des Lesens beeinflusst die Zukunft unserer Gesellschaften, warnen Leseforscher im Ljubljana-Manifest

    Im "Ljubljana-Manifest zur Bedeutung fortgeschrittener Lesekompetenzen" warnen Leseforscher vor einem Verfall der Lesekultur. Die Bedeutung des intensiven Lesens müsse neu bewertet werden, fordern sie und weisen darauf hin, dass die Zukunft des Lesens die Zukunft unserer Gesellschaften beeinflusse. "Eine demokratische Gesellschaft, die auf einem informierten Konsens vielfältiger betroffener und interessierter Bürger*innen basiert, kann nur durch resiliente Leser*innen mit fortgeschrittenen
    Lesekompetenzen erfolgreich sein und bleiben."

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Donnerstag, 19.10.2023

  • Lesung Eiapopeia

    Wunderbar! Grandios!

    Am Samstag habe ich im Café Landart gelesen und bin immer noch beseelt. Eine wunderbare Veranstaltung! Vielen Dank an Landart-Chefin Almut Keil und an die vielen interessierten und aufmerksamen Zuhörer und Zuhörerinnen. Und natürlich auch an den VS und den Verein Lese-Zeichen, die die Veranstaltung ermöglicht haben.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Montag, 02.10.2023

  • Gut gemeint ist nicht genug!

    Auch bei Texten in leichter und einfacher Sprache müssen Qualitätsstandards gelten. Das ist leider oft nicht der Fall. Menschen mit Handicap haben ein Recht darauf, dass sie wahrheitsgemäß informiert werden, und dass ihnen nichts Wichtiges vorenthalten wird.

    Ich schlage mich gerade mit einen Text herum, der von einem großen Sozialträger (ich sage nicht, welchem) in leichte Sprache übersetzt wurde. Okay, der Originaltext ist sehr anspruchsvoll und dicht formuliert. Trotzdem sollte eine Übertragung fehlerfrei sein. Und das ist diese nicht. Ich habe im Netz recherchiert und eine Untersuchung gefunden, in der auch Probleme der leichten (und einfachen Sprache) angesprochen werden. Zum Beispiel Folgendes:

    »Da sich die ursprünglichen Regeln für die Leichte Sprache vorwiegend aus der Praxis der sozialen Arbeit entwickelt haben, sind Erkenntnisse aus der Linguistik und Translationswissenschaft beim Prozess der Übertragung »Standard« nach »Leicht« kaum berücksichtigt worden. Zusätzlich steht für die Produktion von Texten in Leichter Sprache nicht fest, ob es sich um reine Übersetzungen, um Übersetzungen in Kombination mit Zusatztexten oder um eine Neufassung des ursprünglichen Textes handelt oder handeln sollte. [...]

    Bei der Analyse von Leichte-Sprache-Texten finden sich außerdem noch immer Probleme bei der Qualitätssicherung. Bereits einfache, allgemein bekannte Aspekte der Textqualität wie Konsistenz in Schreibweise und Bezeichnung werden oft nicht eingehalten. [...]

    In einzelnen Verständlichkeitstests kann jedoch gezeigt werden, dass die Regeln zur Leichten Sprache nicht immer zur Verständlichkeit beitragen. [...]

    Die in der Praxis der sozialen Arbeit erstellten Verständlichkeitsregeln [haben] z. T. keine linguistische Basis. [...]

    Textzusätze oder Erklärungen von Übersetzerinnen und Übersetzern beispielsweise in medizinischen Ratgebern in Leichter Sprache [erscheinen] als besonders problematisch. Eine Analyse zeigt, dass diese Textzusätze sogar Fehlinformationen enthalten können.«

    Zum Weiterlesen: https://digitalcollection.zhaw.ch/bitstream/11475/20144/2/2020_Jekat-Hagmann-Lintner_Texte-in-Leichter-Sprache.pdf

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Mittwoch, 30.08.2023

  • Im Deutschen sind Männer immer weiblich

    Vom Reichtum unserer Sprache

    Unsere Sprache, das sind die Geschichten, die die alten Wörter tragen. Das ist die fließende Prosa eines gut geschriebenen Romans ebenso wie das Stakkato eines Rap-Gesangs, der über’n Hinterhof schallt. Das sind Humor, Erfindungsreichtum und der kreative Witz des deutschen Volksmundes. Sprache ragt aus der Vergangenheit in die Zukunft. Was für eine Fülle! Was für ein Schatz, der urdemokratisch allen gehört! Eine lebendige Substanz aus Bedeutung, Formen und Strukturen, die sich weitgehend selbst reguliert und gesellschaftlichen Veränderungen anpasst.

    Natürlicher Sprachwandel braucht Zeit. Regelungen per Dekret werden als Zwang empfunden, als Ein- und Übergriff in zutiefst Privates. Der Asterisk zum Beispiel, auch Genderstern genannt. Er soll Kategorien anzeigen, die, glaubt man Umfragen und dem eigenen Eindruck, dem überwiegenden Teil der Sprachbenutzer völlig schnuppe sind. Vielleicht genau deshalb soll er irritieren und stören. Er sprengt die Wortgrenzen und zerhackt den Fluss der Gedanken, die sich artikulieren wollen. Der Asterisk kommt als Platzhalter aus der Computersprache. Er mutet so ahistorisch und unsensibel an, als wäre jemand – »Ei, was nehmen wir denn da?« – mit dem Zeigefinger über der Tastatur gekreist. Das bringt die Menschen auf. Wer braucht ein solches Ungetüm?

    Der Normalbürger nicht. Er fühlt sich schon genug gegängelt von den kleinen Alltagsgemeinheiten deutscher Bürokratenseelen. Jetzt auch noch die Sprache! Permanent soll man um Fettnäpfchen und Tretminen herumeiern, mit uncharmantem Sprech, sperrig und unsexy. Sternchen hacken die Wörter in immer dünnere Scheiben (»Bürger*innenmeister*in«), Kongruenz funktioniert nicht mehr intuitiv, sondern man verheddert sich heillos, will man alles unter einen Hut bringen (»Ein*e kompetente*r Bürger*innenmeister*in«). Immer bürokratischer wird die Sprache, mit jedem genderneutralen Passiv, mit jeder »-schaft«-Wortbildung, mit jedem inflationären Gebrauch des Partizip I, der die Verlaufsform sprengt.

    Alle sollen gemeint sein. Wenige fühlen sich angesprochen. Viele werden ausgeschlossen. Da würde es auch nichts helfen, der Buchstabenreihe (Achtung: englisch aussprechen!) LBGTQAI+, die sich aktuell hinter dem Stern schart, und die für marginalisierte und bislang unsichtbare Gruppen stehen soll, weitere hinzufügen: O zum Beispiel für Ossi. Oder Ü50. Nein, inklusiv geht anders. Schreib- und Leseunkundige, die sich mühsam, Buchstabe für Buchstabe, die Wörter und ihre Bedeutungen erschließen, irritieren die Zeichen und die abstrakte Kategorie, für die sie stehen. Sie bilden eine Barriere und versperren die Teilhabe am Schriftdeutsch. Inklusive Sprache ist nicht inklusiv. Sie ist exklusiv, erschaffen von und für Menschen mit akademischem Hintergrund, die trotz aller Bildung keine Ahnung von Grammatik haben.

    Zum Beispiel übergehen sie die althergebrachten Genusmarker des Deutschen: die Artikel. Dabei zeigen die sich, genau wie die Personalpronomen, im Plural genderfluid stets in weiblicher Form. Grammatisch gesehen sind im Deutschen mehrere Männer (»sie«) immer weiblich. Zudem wäre es hilfreich, überkommene Begriffe auszumisten, denn seit Beginn der Grammatikschreibung des Deutschen werden die Kategorien Genus (grammatische Kategorie) und Sexus (biologisches Geschlecht) in einen Topf geworfen, was wesentlich zur Verwirrung beigetragen hat. Man könnte weiblich/feminin in DIE-Form umbenennen, männlich/maskulin in DER-Form, sächlich/neutrum in DAS-Form. Wären so nicht das Gender-Problem und das generische (sogenannte) Maskulinum zumindest auf der formalen Ebene elegant entschärft?

    Leider nicht. Denn längst geht es um mehr. Das zeigt die Auseinandersetzung um Joanne K. Rowling. Der Erfolgsautorin brauste 2020 ein Shitstorm um die Ohren, der auch sexistische Beschimpfungen, Vergewaltigungsandrohungen und öffentliche Bücherverbrennungen einschloss – und zwar von Menschen, die sich als links begreifen. In diesem Zusammenhang entstand ein neues Kunstwort: TERF, »Trans Exclusionary Radical Feminist« (»radikale Feministin, die Transmenschen ausschließt«).

    Denn auch Feministinnen gehören nicht per se zu den Guten. Nicht, wenn sie an der antiquierten Vorstellung festhalten, dass es biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt, Verzeihung, zwischen Personen mit und ohne Uterus. Joanne K. Rowling ist TERF, Alice Schwarzer ist es. Und ich bin es auch. Wie Rowling und Schwarzer bin ich dagegen, dass Schutzräume für Frauen, denen Männer Gewalt angetan haben, auch (Pardon) »Trans-Menschen mit Penis« offenstehen sollen. Rowling reagierte mit einem lesenswerten Essay, dem man das Bemühen um Ausgewogenheit anmerkt.[1]

    Welchem Geschlecht, ob biologisch oder sozial konstruiert, mein Gegenüber sich zuordnet, ist mir in aller Regel völlig schnuppe. Ich möchte nicht immerzu mit der Nase darauf gestoßen werden. Wem hilft es, wenn Marginalisierte sich einen Opferstatus erkämpfen? Das verschleiert die wirklichen Widersprüche und bindet Kräfte in Stellvertreterkriegen. Dieser Kulturkampf macht mir Angst, die Melange aus moralischer Entrüstung, Pedanterie und George Orwell. Mich regt die unerschütterliche Selbstgewissheit von Leuten auf, die meinen, immer recht zu haben, weil sie auf der Seite der Unterprivilegierten und Verfolgten stehen. Denn das hat Mao Tse-tung auch behauptet. Und Stalin.

    Am Glottisschlag, dem Pause gewordenen Genderstern, erkennt man, wer sich dazuzählt. Doch der Glottisschlag reicht nicht. Man ist genötigt, sich ständig selbst zu kontrollieren. Ist mir – o Schreck! – ein N-, M-, oder I-Wort herausgerutscht? Neue Retortenwörter sollen die belasteten Begriffe ersetzen, POC (»people of color«) zum Beispiel für Menschen mit dunkler Hautfarbe. POC! Wie kann man sich sicher in der Muttersprache bewegen, wenn Wörter von einem Tag auf den anderen nach Rassismus, Patriarchat, kolonialer Unterdrückung, alten weißen Männern, Mehrheitsgesellschaft und Heteronormalität stinken? Wie kann man sich an ihr erfreuen, wenn man von staubtrockenen Akronymen umgeben ist? Wörter können nicht böse sein. Nur die, die sie benutzen.

    Jeder soll so sprechen, wie der Schnabel gewachsen ist. Auch die inklusive Sprache sei niemandem verboten. Ich begrüße jeden Sprachwandel und ich freue mich, dass unser Bewusstsein für Ungerechtigkeiten und Ausgrenzungen in den letzten Jahren so stark gewachsen ist. Dass die Diskussion um die Sprache uns bewusst macht, wie privilegiert und auf wessen Kosten wir leben. Aber niemandem dürfen sprachlichen Verrenkungen wie die oben beschriebenen aufgenötigt werden.

    Schnell werden Kritiker mit der AfD in einen Topf gesteckt, oder schlimmer noch, in den sozialen Medien mit Dreck beworfen. Wer eine Moralkeule in der Hand hält, differenziert nicht. Er knüppelt drauflos. Zu den Vorrechten der Jugend gehört es, Forderungen zu stellen, die übers Ziel hinausschießen. Aber so geht das nicht! Man muss auch Sachen aushalten, die einem nicht gefallen! Zum Beispiel, dass nicht jede Peer-Group eine Dependance in der Sprache eröffnen kann.

    Es ist die Aufgabe des Alters, ein Gegengewicht herzustellen, sodass sich die Gegensätze ausbalancieren können. Aber wo sind sie, die Alten, die Kulturbewahrer? Im Juli 2022 haben sich Wissenschaftler mit einem Offenen Brief aus ihrem Elfenbeinturm gewagt und sich gegen den Glottisschlag im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk ausgesprochen: Germanisten, Linguisten, Übersetzer, Koryphäen in den Neunzigern, als ich Linguistik studiert habe.[2] Zwei Jahre zuvor, im Juli 2020, hatten Intellektuelle und Künstler aus dem englischsprachigen Raum mit einem Offenen Brief für freie Meinungsäußerung plädiert.

    »Der freie Austausch von Informationen und Ideen, das Lebenselixier einer liberalen Gesellschaft, wird täglich immer enger«, warnten die 152 Unterzeichner, zu denen neben Rowling u.a. Noam Chomsky, Margaret Atwood, Salman Rushdie und Daniel Kehlmann gehören. Sie konstatierten »eine Intoleranz gegenüber gegensätzlichen Ansichten, eine Vorliebe für öffentliche Schande und Ächtung und die Tendenz, komplexe politische Fragen in einer blendenden moralischen Gewissheit aufzulösen«.[3] Prompt wurde der Brief in den sozialen Medien als »Reaktion einer privilegierten Elite auf die Infragestellung ihrer kulturellen Hegemonie« gegeißelt, woraufhin einige der Unterzeichner wieder absprangen.

    Der Reichtum unserer Sprache spiegelt unseren kulturellen Reichtum. Ihn muss man teilen, ihn muss man verschenken. Er ermöglicht Freiheit, und zwar allen. Gerade wer aus der DDR kommt, kennt die subtile Schizophrenie der Anpassung und sollte es vehement ablehnen, sich neben der privaten eine öffentliche Sprache anzutrainieren, die ideologisch motiviert ist. Schon jetzt werden an einigen Universitäten Hausarbeiten ohne Asterisk bei der Bewertung eine Note herabgestuft. »Wenn wir nicht genau das verteidigen, wovon unsere Arbeit abhängt, können wir nicht erwarten, dass die Öffentlichkeit oder der Staat es für uns verteidigen.«[4], heißt es in dem Offenen Brief aus Übersee. Dem kann ich mich nur anschließen.


    Anke Engelmann hat Germanistik mit dem Schwerpunkt Sprachgeschichte und Linguistik studiert. Sie unterrichtet Alphabetisierung und kreatives Schreiben und ist als Schriftstellerin, Lektorin, Journalistin und Herausgeberin tätig.

    Quellen:
    [1] Essay von J. K. Rowling, abgedruckt in der Emma September/Oktober 2020 [19.1.2023]

    [2] Linguistik vs. Gendern. Offener Brief deutscher Sprachwissenschaftler vom Juli 2022 [13.9.2022]

    [3] Offener Brief von Intellektuellen, Schriftstellern und Künstlern vom 7. Juli 2020 [19.1.2023], (Übersetzung der Autorin)

    [4] ebda.

    Der Beitrag erschien im Palmbaum, Literarisches Journal aus Thüringen (Hg. Jens-Fietje Dwars), Quartus Verlag Bucha bei Jena, Heft 1/23

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Dienstag, 15.08.2023 in Gender, Gutes Deutsch, Sprachpolitik

  • Sklave von Jeff Bezos

    Amazon und Bücherliebe

    In der Frankfurter Rundschau erzählt der Antiquar Wolfgang Rüger von seiner Liebe zu Büchern und was es für ihn bedeutet, auf Amazon zu verkaufen. Unbedingt lesen! Darf man nach der Lektüre eigentlich noch bei Amazon bestellen?

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Donnerstag, 13.07.2023

  • Mauersegler im Bücherkubus

    In der Weimarer Herzogin Anna Amalia Bibliothek ehren Freunde und Weggefährten den verstorbenen Lyriker Wulf Kirsten

    Ob es ihm an diesem Abend zu laut gewesen wäre? In einer Bibliothek hat schließlich Stille zu herrschen. Bestimmt hätte der Dichter Wulf Kirsten diesmal eine Ausnahme gemacht. Denn seine Gedichte lernte er nach eigenem Bekunden erst beim lauten Lesen richtig kennen. Und maß sie an der Reaktion des Publikums, dem Beifall und der Qualität der Stille.

    Publikum ist reichlich anwesend, jeder Platz im Bücherkubus der Herzogin Anna Amalia Bibliothek (HAAB) ist besetzt. Eingeladen haben die Stadt Weimar, die HAAB und die Gesellschaft der Anna Amalia Bibliothek, die Literarische Gesellschaft Thüringen sowie der Thüringer Literaturrat. Familie, Freunde, Weggefährten und Dichterkollegen begrüßen einander. Man nickt sich zu, schüttelt Hände an diesem warmen Sommerabend kurz nach der Sommersonnenwende, dem Geburtstag des 2022 verstorbenen Lyrikers.

    Das Podium spricht über Kirsten, vor allem aber spricht es mit ihm, indem es ihn zitiert. Jeder trägt sein oder ihr Lieblingsgedicht vor. Begeistert und auswendig Pia-Elisabeth Leuschner vom Lyrik Kabinett München, vorsichtig tastend der Romanist Eduardo Costadura, die Worte auskostend der Lyriker Jan Volker Röhnert, mit verschmitzter Entdeckerfreude der Herausgeber Jens-Fietje Dwars – alles klug moderiert von Christoph Schmitz-Scholemann. Die kräftige Sprache lässt keine Wehmut aufkommen, es prasselt, rollt, es zwitschert, und die Gedichte verströmen ihr Bukett, deutsch, italienisch bei Eduardo Costadura, französisch bei Kirsten-Übersetzer Stéphane Michaud, der extra aus Paris angereist ist.

    Kein Gourmet-Schnickschnack, nein, ein handfester Landwein wuchs aus der Erde bei Meißen. Von Mauerseglern ist die Rede und vom Obstpflücker Oswin aus dem Armenhaus. Von der Wirtstochter Margarete, der Franz Kafka in Weimar nachstieg. Von Landschaften und Landwirtschaft. Von Sachen und Satzanfängen, von Erdung, von Sinnlichkeit. Poesie als Weltsprache, versunkene Wörter, »gediegene Frankophonie« und obersächsische Mundart, und man schmeckt die Worte im Gaumen und sinnt den erdfarbenen Bildern nach, die sie erzeugen. Die literarisch Gebildeten im Podium stellen Bezüge her zu Hölderlin, Rilke oder Goethe. Interessant, denkt man, ein doppelter Boden. Es braucht ihn nicht, damit diese Lyrik einen ergreift, doch ihr wächst damit eine weitere Dimension zu.

    Wieviel bleibt heute von dieser Tiefe, wenn Germanistik-Studenten Goethe nicht rezipieren und Schüler Gedichte nicht lernen müssen? Wenn jeder vierte Viertklässler nicht gut lesen und schreiben kann, Bibliotheken verwaisen und Literatur als Digitalisatbrei im smarten Einheitslook daherkommt? Wulf Kirstens enzyklopädisches literarisches Wissen, sein akribisches Sprachgefühl scheinen aus dieser Zeit gefallen. Und doch, mit seinen genauen Beobachtungen und seiner Verbundenheit zur Natur, seinem beharrlichen Einsatz gegen ihre Zerstörung und die Hybris der Menschen kann er gerade für die Generation Klimakatastrophe eine große Entdeckung sein.

    Vielleicht hilft dabei ein letztes Buch: »Nachtfahrt« heißt der Band mit Texten aus dem Nachlass, den Jens-Fietje Dwars im quartus Verlag herausgegeben und den Susanne Theumer mit Grafiken illustriert hat. Und in der HAAB kann man künftig Wulf Kirstens poetischen Kosmos erkunden. Wie Bibliotheksdirektor Reinhard Laube ankündigt, findet Kirstens Lyriksammlung hier ein neues Zuhause. 65 Regalmeter Poesie, in einem langen Leben gesammelt, verdaut und verdauert. In einer Leselounge, die im nördlichen Teil der Bibliothek entsteht, kann man auf lyrische Entdeckungsreise gehen. Und hört dabei vielleicht die Mauersegler im Kubus kreisen.

    Wulf Kirsten: »Nachtfahrt. Autobiografische Prosa aus dem Nachlaß« Herausgegeben von Jens-Fietje Dwars. quartus Verlag, Weimar, 2023, ISBN 978-3-947646-52-4

    Die Veranstaltung wurde mitgeschnitten und ist am 1. August auf Radio Lotte und ab 2. August als Podcast unter www.literaturland-thueringen.de nachzuhören.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Samstag, 08.07.2023

  • Der Affe Arthur und gustaf, der Geier

    Eselsbrücken-Geschichte zum Erlernen der Zehn-Finger-Schreibtechnik

    Tastatur-Geschichte:
    linke Hand:

    A wie Affe Arthur gelb
    S wie Segeln, See blau
    D wie Deich grün
    F wie Fahne(nstange) rot
    G wie geier gustaf rot

    Q (von A) wie Quast gelb
    W (von S) wie Wasser blau
    E (von D) wie Eimer grün
    R (von F) wie rot rot
    T (von T und G) wie Taschentuch, Tomate rot

    Y (von A) wie Yacht gelb
    X (von S) wie Xugaman (Handtuch) blau
    C (von D) wie Chaussee grün
    V (von F) wie Vogel rot
    B (von F und G) wie Baum, Buche rot

    A, Q, Y, 1, 2, !
    S, W, X, 3, „
    D, E, C, 4, $
    F, R, V, 5, %
    G, T, B, 6, &

    Der Affe Arthur war gelb und reiselustig. Eines Tages segelte er ganz allein über einen tiefblauen See, und zwar so lange, bis er an einen Deich kam, der war grasgrün. Auf dem Deich stand eine einsame Fahnenstange, auf der saß ein dünner roter geier, der hieß gustaf mit f.

    Arthur hatte etwas ganz Besonderes: An seinem Schwanz war ein dicker gelber Quast. Fast wie bei einem Löwen! Das hat nicht jeder Affe. Die meisten können nur einen kleinen Stummelschwanz ihr eigen nennen. Dieser Quast war Arthurs ganzer Stolz.

    Noch etwas war an Arthur anders als an anderen Affen: Arthur war ein besonders furchtloser Affe. Obwohl er beim Segeln völlig von Wasser umgeben war - Affen mögen das nicht besonders - hatte er keine Angst. Er plantschte mit seinem Quast im Wasser wie ein Maler mit seinem Malerpinsel.

    Arthur war ausgestiegen und als er auf dem Deich näher kam, entdeckte Arthur einen Eimer aus grüner Plaste. Der war so grün, dass sich das Gras ringsum schämte und versteckte, denn wie konnte ein schnöder Plasteeimer grüner sein als das Gras selbst?

    Und die Fahnenstange war schon ganz alt und die Farbe blätterte ab. Aber ursprünglich war sie für eine rote Arbeiterfahne gedacht. Das wusste aber nur gustaf der geier. Und der schwieg.

    An der Fahnenstange flatterte ein Taschentuch. Der Affe hatte keine Angst, nein Arthur doch nicht. Aber er wollte den Geier nicht erschrecken. Deshalb schlich er sich vorsichtig nach Affenart an. Und da bemerkte er, dass auf das Taschentuch eine knallrote Tomate gestickt war.

    Der Affe Arthur hielt inne und warf einen Blick zurück auf seine Yacht, die am gelben Strand lag. Vom Segeln war er ganz nass geworden, vor allem sein Quast. Und weil er Fremdländisch sprach, rief er ganz laut: Xugaman? Das bedeutet Handtuch. Und noch einmal: Xugaman? Niemand antwortete.

    Und so erkletterte er den Deich und entdeckte auf der anderen Seite eine Chaussee, die war fast so grün wie der Deich. Arthur drehte sich noch einmal um und sah zu der Fahnenstange zurück. Da stiegen von der Fahnenstange ganz viele rote Vögel auf. Arthur entdeckte auch den roten geier. Die Vögel und der geier lärmten und kreisten eine Weile um die Fahnenstange, über den Deich und den Eimer. Dann setzten sie sich auf einen Baum auf der rechten Seite der Chaussee, das war eine rote Buche. Natürlich musste gustaf der geier auf der Spitze des Baumes Platz nehmen. Ihn interessierte kein bisschen, dass sich der Baum gefährlich nach links bog. Und dass Arthur, der Affe, den Kopf ganz schief machen musste.

    (Diese Geschichte wurde mit 6 Fingern geschrieben.)

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Mittwoch, 12.04.2023

  • Worüber darf man heutzutage noch lachen, in diesen woken Zeiten? Schöner Beitrag auf RND.

    veröffentlicht: Anke Engelmann, Sonntag, 02.04.2023

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